Verfassungsschutz vernichtete Neonazi-Akten:"Aktion Konfetti"

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Sensible Akten über die Zwickauer Terrorzelle landeten im Schredder, kurz nachdem die Existenz der Gruppe bekannt geworden war. Verfassungsschutzpräsident Fromm soll diese peinliche Panne nun aufklären - das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden dürfte nachhaltigen Schaden nehmen.

Susanne Höll und Tanjev Schultz, Berlin

Wenn hochrangige deutsche Sicherheitsexperten Berliner Journalisten um 22 Uhr anrufen und für den folgenden Tag zum Hintergrundgespräch bitten, müssen brisante Dinge geschehen sein. Dem war auch so. Denn am Donnerstag offenbarten Fachleute die jüngste, schwere Panne im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) war bereits am späteren Mittwoch unterrichtet worden, ebenso das für die Aufsicht der Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages.

Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm soll sich binnen einer Woche zur Aktenvernichtung äußern. (Foto: dpa)

Zu berichten war von einer bislang rätselhaften Aktenvernichtung im Bundesamt in Köln. Warum der Leiter eines Referates in der Abteilung Rechtsextremismus des BfV am 11. November 2011 die Unterlagen über V-Leute in Thüringens Neonazi-Szene löschte, ist unbekannt. Er selbst sage, in den Akten sei kein brisantes Material gewesen. Dass er es schreddern ließ, löst allüberall Unmut und Befremden aus. Minister Friedrich ist angeblich höchst verärgert. Und die Mitglieder des Kontrollgremiums, die von den deutschen Diensten allerhand gewohnt sind, fühlten sich, wie ein Teilnehmer der Sitzung beschreibt, "als hätte man uns mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen." Ausgerechnet das Amt, das federführend ist im Kampf gegen gewalttätige Rechtsextremisten, vernichtet Daten über die gefährliche Neonazi-Szene und beschäftigt höhere Beamte, die ihre Chefs belügen.

Seinen Vorgesetzten hatte der Referatsleiter bis Mittwoch dieser Woche erzählt, die Unterlagen über V-Leute in der Thüringer Neonazi-Szene in den Jahren 1997 bis 2003 seien bereits im Januar 2011, mithin vor Bekanntwerden der Mordserie, vernichtet worden. Warum der Mann die Unwahrheit sagte, ist nach Angaben aus Sicherheitskreisen unklar. Gegen ihn läuft ein Disziplinarverfahren. Die BfV-Spitze kam den Lügen des Beamten erst am Mittwoch auf die Spur. BfV-Präsident Heinz Fromm habe sich auf seinen Auftritt im Untersuchungsausschuss des Bundestages zu den Neonazimorden vorbereitet und detaillierte Angaben über die Aktenlage, darunter auch die obligatorischen Vernichtungsprotokolle verlangt. Dabei sei die Täuschung ans Licht gekommen.

Der Inhalt der Akten ist im Detail nicht bekannt, man weiß bislang nicht einmal, wie viele Seiten geschreddert wurden. Hohe Verfassungsschutzexperten zeigten sich aber überzeugt, dass es darin keinerlei brisanten Informationen über die Zwickauer Zelle oder deren Verbindungen zu anderen Neonazis enthalten gewesen seien. Das habe der Referatsleiter ausgesagt. Bestätigt würde diese Annahme auch durch Paralleldokumente, sogenannte Auswertungsakten. Danach ergäben sich keine Verbindungen zu dem Trio, das sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte.

In Sicherheitskreisen wurde spekuliert, dass der Referatsleiter eine Aufforderung Fromms vom 10. November 2011 nach intensiver Durchsicht aller Unterlagen auf Informationen auf das Trio zum Anlass genommen hatte, die Akten zu schreddern. Die Geheimdienste sind gesetzlich verpflichtet, personenbezogene Daten nach zehn Jahren zu vernichten, wenn die Fälle nicht mehr aktuell sind. Die Akten enthielten nach Darstellung aus Sicherheitskreisen Informationen über acht V-Leute, die das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Thüringer Landesamt in den Jahren 1997 bis 2003 auf den rechtsextremen Thüringer Heimatschutz und andere Neonazi-Gruppen angesetzt hatten. Keiner der acht Spitzel soll Informationen über das NSU-Trio gehabt haben.

Das Bundesamt zeigte sich zuversichtlich, den groben Inhalt der geschredderten Akten mit Hilfe existenter Unterlagen rekonstruieren zu können. Diese Spitzel waren 1996/1997 in einer gemeinsamen Aktion des Bundesverfassungsschutzes, des Thüringer Geheimdienstes und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gewonnen worden, um besseren Einblick in die Thüringer Neonazi-Szene zu bekommen. Diese Operation trug den Namen "Rennsteig." Der MAD interessiert sich als Geheimdienst der Bundeswehr besonders für junge Neonazis im Wehrdienstalter. In Sicherheitskreisen wurden ausdrücklich Spekulationen dementiert, wonach auch die beiden mutmaßlichen Neonazi-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Rahmen dieser Operation als mögliche Verfassungsschutzspitzel ausgesucht worden seien.

Verfassungsschutz in der Kritik

In Sicherheitskreisen hieß es, man gehe davon aus, dass dies der einzige Fall einer dubiosen Aktenvernichtung im Bundesamt sei. Es gebe keinerlei Hinweise, dass weitere Unterlagen fehlten. Mit Sicherheit könne man das aber nicht sagen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Bundesamt Aktenvernichtungen künftig strikter kontrollieren.

Im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages herrschte am Donnerstag fraktionsübergreifend Entsetzen über die Aktenvernichtung. "Wer so ein Verhalten an den Tag legt, befördert alle möglichen Theorien", sagte CDU-Obmann Clemens Binninger. Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden könne nachhaltigen Schaden nehmen. Außer dem Bundesamt müssten auch der Verfassungsschutz in Thüringen und der MAD zur Aufklärung beitragen.

Die Abgeordneten zeigten sich fassungslos, dass sie erst am Mittwochabend erste Informationen über die Löschung erhalten hatten, obwohl Medien seit längerem über "Rennsteig" und über V-Leute in Thüringen berichtet hatten. Die Grünen sprachen von einer "Aktion Konfetti" und machten Verfassungsschutz-Präsident Fromm persönlich verantwortlich. Das Bild vom Verfassungsschutz werde immer finsterer, sagte Petra Pau von den Linken. Der FDP-Abgeordnete Hartfrid Wolff kündigte an, der Druck des Ausschusses auf die Behörden werde steigen. Die SPD-Obfrau Eva Högl verlangte, Minister Friedrich (CSU) müssen den Fall klären und forderte Konsequenzen. Es müsse geprüft werden, ob "Fehler von Sicherheitsbehörden vertuscht" werden sollten.

© SZ vom 29.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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