Venezuela:Stinkende Brühe

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Der selbsternannte Übergangspräsident Juan Guaidó tritt selbstbewusst auf. Dass er schon bald in Nicolás Maduros Palast einziehen kann, ist aber nach wie vor unwahrscheinlich. (Foto: Yuri Cortez/AFP)

Wassermangel, Stromausfall - während Präsident Maduro und der selbsternannte Übergangs­präsident Guaidó um die Macht kämpfen, gleitet das Land immer mehr ins Chaos ab. Den Menschen fehlt es an Grundsätzlichem.

Von Benedikt Peters, München

Die Zustände in Venezuela sind seit Jahren chaotisch, in dieser Woche aber erinnerten sie mehr denn je an ein Entwicklungsland. Nach dem Ausfall eines Wasserkraftwerks war der Strom auch Anfang der Woche noch nicht zurückgekehrt. Und so machten sich einige Bewohner des ölreichsten Staates der Erde auf die Suche nach Holz, um zumindest mal wieder eine warme Mahlzeit kochen zu können - auf eilig aufgeschichteten Lagerfeuern. Zahlreiche Gegenden blieben tagelang ohne Wasser. Auf Videos sind Menschen zu sehen, die mit Eimern und Kanistern an verdreckte Flüsse kommen, weil sie sich nicht mehr anders zu helfen wissen.

Inzwischen ist die Strom- und Wasserversorgung nach Regierungsangaben zwar wieder hergestellt, der autoritäre Herrscher Nicolás Maduro sprach von einem "Sieg in dem elektrischen Krieg", den er angeblich gegen die USA und die venezolanische Opposition errungen habe. Was solche Verlautbarungen aus dem Präsidentenpalast wert sind, zeigte sich dann aber zum Beispiel im nördlich gelegenen Bundesstaat Carabobo. Das Wasser kam dort zwar tatsächlich zurück, vielerorts aber nur in Form einer dickflüssigen, stinkenden Brühe, die in die Waschbecken platschte. "Es riecht nach Kloake" schrieb ein Bewohner der Stadt San Diego auf Twitter.

Maduro beschuldigte zunächst die US-Regierung, den Ausfall durch eine Cyberattacke auf das Wasserkraftwerk Guri ausgelöst zu haben, das nahezu 80 Prozent des Landes mit Strom versorgt. Nun will er in Venezuela einen Komplizen entdeckt haben. Wenig überraschend handelt es sich dabei um den Oppositionsführer Juan Guaidó, der sich seit Januar einen erbitterten Machtkampf mit dem Autokraten von Caracas liefert. Die Maduro-hörige Generalstaatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Plausibel ist eine andere Version: Experten bezeichnen die venezolanische Stromversorgung im Allgemeinen und das Wasserkraftwerk Guri im Speziellen als marode, dort seien zuletzt nur elf der 20 Turbinen in Betrieb gewesen. Kleinere Stromausfälle sind in dem Land so gewöhnlich wie lange Schlangen und leere Supermarktregale. Erst kürzlich warnten Mitarbeiter der staatlichen Energiegesellschaft Corpoelec, dass sie keine Wartungsarbeiten mehr durchführen könnten, weil ihnen dafür die Ausrüstung fehle. Guaidó dürfte das Ermittlungsverfahren ohnehin mit einer gewissen Gelassenheit sehen. Wegen seiner Agitation gegen Maduro wäre er ohnehin längst verhaftet worden, genösse er nicht den Schutz der USA. Washington hat wiederholt gefordert, dem Oppositionsführer dürfe nichts geschehen, und Präsident Trump betont seit Wochen, dass "alle Optionen auf dem Tisch" liegen. Auch eine militärische, soll das heißen.

Entsprechend selbstsicher tritt der Wirtschaftsingenieur auf, der im Juli dieses Jahres seinen 36. Geburtstag feiert. "Bald brauche ich ein neues Büro zum Arbeiten. Bald gehe ich in mein Büro in Miraflores", sagte Guaidó diese Woche auf einer Demonstration, von denen er inzwischen unzählige veranstaltet hat. Miraflores ist der Präsidentenpalast, in dem derzeit noch Nicolás Maduro sitzt. Dort fiel kürzlich übrigens auch mal der Strom aus, während Maduro eine Fernsehansprache hielt.

Dass Guaidó tatsächlich bald in sein neues Büro spaziert, ist aber nach wie vor eher unwahrscheinlich, auch wenn er zuletzt einen "Marsch auf Caracas" mitsamt seinen Unterstützern ankündigte. Abgesehen von einigen wenigen Überläufern hält die Armee weiter zu Maduro. Sie gilt als entscheidender Faktor im Machtkampf. Das hat auch damit zu tun, dass die Chavisten zahlreiche Günstlinge in den Generalsstand erhoben haben, nach Schätzungen sind es etwa 1500. Zum Vergleich: Die Bundeswehr hat etwa 200 Generäle.

Nach Ansicht investigativer Journalisten ist ein Teil der venezolanischen Armeeführung mit dem organisierten Verbrechen verbandelt, ebenso wie hochrangige Politiker und Verwaltungsbeamte. Sie alle wollen Maduro an der Macht halten, komme was wolle, denn im Fall eines Regimewechsels drohen ihnen langjährige Haftstrafen. Für das Land bedeutet dies: Es könnte noch eine ganze Zeitlang ziemlich chaotisch zugehen.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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