Venezuela:Maduro holt zum Gegenschlag aus

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Die Einmischung der USA ist nicht nur innerhalb Venezuelas umstritten. Im argentinischen Buenos Aires protestieren linke Organisationen vor der US-Botschaft. (Foto: RONALDO SCHEMIDT / AFP)

Die Justiz ermittelt gegen den selbsternannten Präsidenten Guaidó. Damit steigt die Gefahr seiner Verhaftung.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Tag für Tag spitzt sich der Machtkampf in Venezuela weiter zu. Das Oberste Gericht in Caracas verhängte am Montagabend eine Ausreisesperre gegen den selbsternannten Übergangspräsidenten Juan Guaidó, 35. Auch dessen Konten wurden eingefroren. Das Gericht folgte damit einem Express-Antrag von Generalstaatsanwalt Tarek William Saab. Darin hieß es, Guaidó habe "Aktionen angeführt, die dem Vaterland schaden". Deshalb habe die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn aufgenommen. Guaidó läuft damit Gefahr, verhaftet zu werden - genau wie zahlreiche andere führende Oppositionspolitiker in den vergangenen Jahren.

Allerdings fiel die Entscheidung des bislang treu zum autokratischen Staatschef Nicolás Maduro stehenden Gerichts nicht einstimmig aus. Ein Richter sagte öffentlich, er habe gegen die Ausreisesperre gestimmt, eine Richterin verließ aus Protest gegen die Mehrheitsentscheidung die anschließende Pressekonferenz. Das wiederum nährt im Guaidó-Lager die Hoffnung, dass das Regime bereits Auflösungserscheinungen zeigt. Aus dem Plenum des offiziell entmachteten Parlaments rief Juan Guaidó den Mitgliedern des Obersten Gerichts zu: "Ihr müsst euch nicht für den Usurpator und seine Bande opfern" - gemeint waren Maduro und seine Regierung. "Denkt an euch, an eure Karrieren, an die Zukunft eurer Kinder und Enkel, die auch unsere Kinder und Enkel sind. Die Geschichte wird euch danken!"

Darüber, wie diese Geschichte ausgeht, kann im Moment nur spekuliert werden. Bislang hatte die Maduro-Administration den Herausforderer erstaunlich zahm behandelt. Guaidó konnte ungestört öffentliche Reden vor einem Massenpublikum halten und wurde nach einer vorübergehenden Festnahme durch den Geheimdienst Mitte Januar wieder freigelassen. Nun scheint der junge Gegenpräsident den De- -facto-Machthaber Maduro aber an seiner empfindlichsten Stelle getroffen zu haben: dem Devisenfluss nach Caracas. Am Montag hatten die USA, die Guaidó als legitimen Übergangspräsidenten anerkennen, Sanktionen gegen den staatlichen venezolanischen Ölkonzern PDVSA verhängt. Damit sind Maduro und seine Entourage praktisch von frischem Bargeld abgeschnitten. Und weil bislang vor allem die korrupte Militärführung vom Ölgeschäft profitierte, steht die Loyalität der Streitkräfte zu Maduro nun vor ihrer härtesten Probe. Das juristische Vorgehen gegen Guaidó wird von Beobachtern als Versuch gewertet, die Ölsanktion hart zu kontern.

Juan Guaidó reagierte darauf nach außen hin gelassen. "Die Drohung einer Verhaftung demotiviert uns nicht. Das ist nichts Neues. Die einzige Antwort des Regimes ist Verfolgung und Unterdrückung", sagte er. US-Sicherheitsberater John Bolton drohte wenig später mit "ernsthaften Konsequenzen" für alle, die Guaidó Schaden zufügten.

Bolton war tags zuvor mit einem Schreibblock aufgetreten, der unter seinem Arm klemmte. Darauf war mit etwas Mühe zu lesen: "5000 Soldaten nach Kolumbien". Das nährte Spekulationen über eine Truppenverlegung der USA in Venezuelas Nachbarland und sollte offenbar eine Provokation sein. Es hilft aber vor allem Maduro, der damit seine zentrale Propaganda-These bestätigt sieht: dass nämlich die "Imperialisten im Weißen Haus" eine Militärintervention planten, um ihn aus dem Amt zu putschen. Wenn Maduro in seinem krisengeplagten Land überhaupt noch eine nennenswerte Gefolgschaft hinter sich versammeln kann, dann mit dieser Art von Rhetorik. Angesichts von Boltons Zettelbotschaft ließ er sich die Gelegenheit nicht nehmen, vor einem "Vietnam in Lateinamerika" zu warnen.

Die konservative kolumbianische Regierung, die eng mit Washington verbündet ist, teilte mit, sie wisse nichts von etwaigen Plänen, US-Soldaten auf ihrem Territorium zu stationieren. Auch die Lima-Gruppe, ein informelles Bündnis konservativer lateinamerikanischer Staaten und Kanadas, sprach sich gegen jegliche militärische Intervention aus. Die Gruppe setzt weiterhin auf wirtschaftlichen und diplomatischen Druck. Juan Guaidó nominierte derweil in seiner Funktion als Übergangspräsident diplomatische Vertreter Venezuelas für die Lima-Länder sowie für die USA. Außerdem rief er für diesen Mittwoch und für kommenden Samstag zu Großkundgebungen im ganzen Land auf.

Maduro versucht, mit einer Mischung aus Nachgiebigkeit und Härte dagegenzuhalten. Einerseits stellte er in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti Verhandlungen mit der Opposition in Aussicht, um des "Friedens und der Zukunft Venezuelas willen". Andererseits schloss er vorgezogene Präsidentschaftswahlen, wie von Deutschland und weiteren EU-Staaten gefordert, kategorisch aus. "Wir lassen uns von niemandem in der Welt ein Ultimatum stellen oder erpressen", sagte Maduro. Eine Acht-Tage-Frist der EU-Länder für Neuwahlen läuft am Sonntag aus. In einer Videobotschaft teilte Nicolás Maduro außerdem mit: "Sollten die USA vorhaben, bei uns zu intervenieren, werden sie ein schlimmeres Vietnam erleben, als sie es sich hätten vorstellen können."

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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