Venezuela:Kann das denn wahr sein?

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Bei den Regionalwahlen kann Präsident Nicolás Maduro seine Machtbasis weiter ausbauen, er selbst bezeichnet die Wahl als "Beweis, dass Venezuela demokratisch ist".

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

So gut gelaunt war Nicolás Maduro schon lange nicht mehr zu erleben. Nur wenige Minuten, nachdem die offiziellen Ergebnisse der venezolanischen Regionalwahlen vom Sonntag vorlagen, hielt der Staatspräsident im Staatsfernsehen eine Laudatio auf den großen Gewinner des Abends - auf sich selbst. Maduro sprach von einem "Triumph auf ganzer Linie", er sagte: "Mehr als zehn Millionen Wähler haben der Welt demonstriert, dass Venezuela demokratisch ist." Die Streitfrage der kommenden Tage wird zweifellos lauten: Was stimmt an diesem Satz - abgesehen von dem Wort Venezuela?

Nach Angaben des Nationalen Wahlrats, der sich einen Ruf als treuer Freund Maduros erarbeitet hat, setzten sich in mindestens 17 von 23 Bundesstaaten die Gouverneurskandidaten der sozialistischen Regierungspartei PSUV durch. Das wäre zwar ein leichter Verlust, denn bislang stellte die Partei Maduros 20 Gouverneure. Angesichts der allgemeinen Krisenstimmung sowie aller Wahlprognosen ist es trotzdem ein Erdrutschsieg. Das Oppositionsbündnis MUD war in seinen pessimistischsten Kalkulationen davon ausgegangen, dass es mindestens 13 Bundesstaaten erobern würde. Jetzt hat der MUD, nach offizieller Zählung, sogar sein bisheriges Machtzentrum eingebüßt, den Bundesstaat Miranda, der bislang vom zweimaligen Präsidentschaftskandidaten Henrique Capriles regiert worden war. Und alle fragen sich: Kann das denn wahr sein?

Für den MUD-Kampagnenchef Gerardo Blyde ist die Sache klar, er sprach von "Wahlbetrug", die Opposition werde das Ergebnis nicht anerkennen. Blyde und seine Mitstreiter werden sich aber auch mit dem Vorwurf der Naivität auseinandersetzen müssen. Haben sie tatsächlich daran geglaubt, dass im autoritären Venezuela eine faire Wahl stattfinden würde? Oder wie es Laura Chinchilla, die ehemalige Präsidentin Costa Ricas, ausdrückte: "Diktaturen verlieren nicht."

Im gespaltenen Lager der Opposition wird nun wohl ein heftiger Streit ausbrechen

Unabhängig von berechtigten Zweifeln, ob korrekt ausgezählt wurde, hat das Regime schon vorab ganze Arbeit geleistet, um seiner Niederlage entgegenzuwirken. In Gegenden, in denen traditionell die Regierungsgegner dominieren, wurden offenbar Wahllokale im letzten Moment verlegt. Für wohlkalkulierte Verwirrung sorgte auch, dass sich auf den Stimmzetteln viele Oppositionskandidaten befanden, die überhaupt nicht zur Wahl standen. Der MUD hatte seine Leute per Vorwahl bestimmt - da waren die Wahlzettel aber schon gedruckt und die Behörden weigerten sich, sie nachträglich noch einmal zu ändern. Führende Köpfe der Opposition waren zudem von einer Kandidatur ausgeschlossen, darunter der per Gerichtsbeschluss gesperrte Capriles.

Es ist deshalb abzusehen, dass im gespaltenen Lager der Regierungsgegner jetzt ein heftiger Streit darüber entbrennt, warum man sich auf diese als Wahl getarnte Farce eingelassen hat. Der radikale Flügel des MUD, der die Abstimmung von vorneherein boykottierte, darf sich bestätigt fühlen. Wenn sich die Opposition aber intern zerfleischt, hat Maduro ein weiteres Wahlziel erreicht. Obwohl die Versorgungslage verheerend ist und das Land ungebremst auf den Kollaps zusteuert, sitzt der Präsident fest im Sattel. Das könnte auch eine Antwort auf die Frage sein, weshalb Caracas die Durchführung dieser Regionalwahlen plötzlich zuließ. Sie hätten laut Verfassung schon Ende 2016 stattfinden müssen, wurden aber ohne nachvollziehbare Gründe verschoben. In der Zwischenzeit hat Maduro die letzten Reste der demokratischen Fassade abgewickelt, indem er das von der Opposition kontrollierte Parlament endgültig entmachtete und eine sogenannte Verfassungsgebende Versammlung installierte. Seither herrscht eine gespenstische Ruhe im Land.

Die Straßenproteste vom Frühjahr haben sich praktisch in Luft aufgelöst. Sie hinterließen 125 Tote und eine Desillusionierung unter Regierungsgegnern - mit Gewalt scheint dieses Militärregime nicht zu stürzen zu sein. Teile des MUD setzten auf einen demokratischen Umsturz, was sich nun erst recht als aussichtslos erwies. Man hört schon erste Stimmen, die sicher bald noch lauter werden. Sie fordern einen neuen Straßenprotest.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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