Venezuela:Gute Seele - und erste Staatsfeindin

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Lilian Tintoris Mann ist als Oppositioneller in Haft. (Foto: Jorge Saenz/AP)

Lilian Tintori kandidiert zwar nicht, bringt Venezuelas Präsident Nicolás Maduro aber in Bedrängnis.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Wenn Lilian Tintori jemanden von ihrer Sache überzeugen will, erzählt sie die Geschichte mit dem Kuchen, den sie ihrem Mann zum Geburtstag gebacken hat. Zum Geburtstag im Gefängnis. Tintori beschreibt dann, wie sie und ihre zwei Kinder mit dem Geschenk an der Pforte abgewiesen wurden. Wie sie gezwungen waren, den Kuchen auf der Straße vor dem Knast zu essen, und dort "Happy Birthday" vor einem Foto von Papa sangen. Wer dann noch nicht begriffen hat, dass Venezuela ein Unrechtsstaat ist, dem erzählt Tintori, wie sie ihrer fünfjährigen Tochter Manuela beibrachte, warum ihr Vater schon so lange nicht mehr daheim war: "Weil Präsident Maduro sich nicht mit Papi messen will, weil es einfacher ist, ihn einzusperren."

Manuelas Papa heißt Leopoldo López und ist einer der Anführer der venezolanischen Opposition. Er hat inzwischen zwei Geburtstage im Militärgefängnis Ramo Verde bei Caracas verbracht, den 43. und den 44., womöglich kommen noch ein paar dazu. Im September wurde er wegen "Aufhetzung zur Gewalt" zu 13 Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, in einem Prozess, den selbst der zuständige Staatsanwalt hinterher als Farce bezeichnete.

Lilian Tintori, 37, war schon vor der Verhaftung ihres Mannes prominent in Caracas. Dort kannte man sie als Kitesurf-Meisterin, als Model, Fernsehmoderatorin, unerschrockene Teilnehmerin einer Survival-Show. Inzwischen ist sie weltberühmt - als unfreiwillige Freiheitskämpferin, als gute Seele Venezuelas. Dass der Fall López zum Symbol des Machtmissbrauchs von Nicolás Maduro wurde und der Präsident international weitgehend isoliert dasteht, verdankt er nicht zuletzt der Kampagne Tintoris. Ihre Kernthese lautet: "Nicht nur Leopoldo, sondern ganz Venezuela wird gefangen gehalten."

Auf Welttour, um Allianzen gegen den Chavismus zu schmieden

Seit fast zwei Jahren tourt Tintori durch die Welt, um Allianzen gegen den Chavismus zu schmieden, mit beachtlichem Erfolg. Sie wurde von US-Vizepräsident Joe Biden empfangen, vom spanischen Regierungschef Mariano Rajoy und von Papst Franziskus. Sie hat das chilenische Parlament, die Organisation Amerikanischer Staaten sowie aktuelle und ehemalige konservative Staatschefs aus aller Welt dazu gebracht, das venezolanische Regime zu verurteilen. Sie war auch auf der Bühne dabei, als der frisch gewählte argentinische Präsident Mauricio Macri seine Siegesrede hielt. Das war ein klares Signal aus Buenos Aires: Jetzt geht es Maduro an den Kragen! Macri hat umgehend angekündigt, Venezuelas Suspendierung aus dem Südamerika-Staatenbund Unsasur zu beantragen, falls politische Gefangene wie López nicht freigelassen werden.

Am Sonntag wählt Venezuela ein neues Parlament, dem Chavismus droht erstmals seit eineinhalb Jahrzehnten eine schwere Niederlage. Tintori mit ihrem telegenen Lächeln und ihren geflochtenen blonden Haarkränzen - die nicht zufällig an Julia Timoschenko erinnern - war prägende Figur im Wahlkampf. Dabei steht sie gar nicht zur Wahl. Sie sagte einmal: "Leopoldo ist der Politiker, ich bin Menschenrechtsaktivistin, Mutter und Opfer."

Aus Sicht Maduros und seines Gefolges ist sie freilich eine "imperialistisch gesteuerte Faschistin", Staatsfeindin Nummer eins. Gemäßigtere Kritiker halten ihr vor, dass sie ihre Opferrolle instrumentalisiere. Über das Wahlwochenende hat Tintori die beiden Kinder aus (der nicht ganz unbegründeten) Angst vor Gewalt nach Florida ausgeflogen. Sie hat dafür gesorgt, dass es die halbe Welt mitbekommen hat. Als vergangene Woche der Oppositionspolitiker Luis Manuel Díaz bei einer Wahlkampfveranstaltung ermordet wurde, stand Tintori neben ihm auf Bühne. Hinterher erklärte sie, die Schüsse hätten selbstverständlich ihr gegolten.

López und Tintori sind Kinder der venezolanischen Oberschicht, konservativ und katholisch. Jeden Morgen um 5.30 Uhr stehen die beiden auf, um in der Bibel zu lesen. López in seiner Zelle, Tintori zu Hause. Das ist ihre Art, miteinander zu kommunizieren. Solche persönlich gefärbte Geschichten erzählt Tintori gern und gut. Sie weiß, was ankommt bei den Leuten. Wie das mit dem Geburtstagskuchen. Auch dank der professionellen Medienarbeit seiner Ehefrau hat der einstmals höchst umstrittene López inzwischen Märtyrerstatus erlangt, der ihn zum aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten macht - falls er bis zu den nächsten Wahlen freikommt. Falls nicht, bleibt Lilian Tintori wohl nichts übrig, als es selbst zu versuchen.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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