Venezuela:Eskalation am Río Táchira

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Ein alter Nachbarschaftsstreit mit Kolumbien spitzt sich wieder zu. Präsident Maduro hofft, davon innenpolitisch zu profitieren.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Sie fliehen über den Fluss. Mit Kleinkindern, Rollkoffern, Fernsehern und Kühlschränken bepackt waten die kolumbianischen Migranten durch das hüfttiefe Wasser des Táchira, der die Grenze zwischen Venezuela und ihrem Heimatland markiert. Eine lange Nachbarschaftsfehde verbindet die beiden Staaten. In den vergangenen Tagen hat sie sich dramatisch zugespitzt. Nach offiziellen Angaben aus Bogotá sind fast 1100 Kolumbianer aus Venezuela deportiert worden, weitere 6000 Menschen sollen verscheucht worden sein. "Wie Hunde", sagte einer der Flüchtlinge der BBC.

Der Konflikt könnte die Verhandlungen mit den Farc-Guerilleros gefährden

Die Regierungen in Caracas und Bogotá geben einander gegenseitig die Schuld an der Eskalation. Am Donnerstag beorderten beide ihre Botschafter zu Beratungen nach Hause. Auslöser der jüngsten Spannungen war ein Überfall am Grenzübergang San Antonio del Táchira am 19. August, bei dem drei venezolanische Soldaten und ein Zivilist verletzt wurden. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro ließ daraufhin die Grenze schließen und verhängte in der Region den Ausnahmezustand. Er machte paramilitärisch organisierte kolumbianische Schmugglerbanden für den Vorfall verantwortlich. Tatsächlich blüht in der Gegend seit Jahren das Geschäft mit dem Schmuggel von Lebensmitteln und Benzin. Staatlich subventionierte Waren aus Venezuela sind auf der kolumbianischen Seite ein Vielfaches wert. Der Sozialist Maduro beschuldigt seinen konservativen Kollegen Juan Manuel Santos in Bogotá, den Schwarzmarkthandel zu tolerieren, um Venezuela zu destabilisieren. Glaubt man Caracas, ist das einer der Hauptgründe für die massive Wirtschafts- und Versorgungskrise, mit der Venezuela derzeit kämpft. Der schwer angezählte Maduro begegnet der aktuellen diplomatischen Krise deshalb auch mit innenpolitischem Kalkül. Sie liefert ihm zumindest einen Vorwand, um von den strukturellen Problemen der Volkswirtschaft Venezuelas abzulenken.

Sein Gegenspieler Santos dürfte dagegen wenig Interesse an einem dauerhaften Konflikt haben. Die Grenzregion ist ein traditionelles Rückzugsgebiet der kolumbianischen Farc-Guerilla, mit der Santos gerade über einen Friedensschluss verhandelt. Dafür braucht er aber die Unterstützung Venezuelas. Und er braucht stabile Verhältnisse, weil sonst im eigenen Land die Hardliner wieder Oberwasser gewinnen. Am Táchira-Fluss könnte sich die Zukunft Kolumbiens entscheiden.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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