Venezuela:Chavismus im Mausoleum

Lesezeit: 2 min

Der kümmerliche Nachlass von Hugo Chávez wurde abgewählt, die Linke in Lateinamerika ist auf dem Rückzug. Rosige Zeiten gibt es in Venezuela dennoch nicht.

Von Boris Herrmann

Wenn eines Tages Geschichtslehrer ihre Schüler fragen, wie lange der Chavismus dauerte, dann werden die antworten können: Genau 17 Jahre. Am 6. Dezember 1998 wurde Hugo Chávez zum Präsidenten Venezuelas gewählt. Am 6. Dezember 2015 haben dessen Nachlassverwalter die Mehrheit im Parlament verloren. Was auch immer in der nächsten Zeit passiert: Der 6. Dezember wird als jener Tag in Erinnerung bleiben, an dem das venezolanische Volk dem Chavismus den Rücken kehrte.

Ob damit auch der sogenannte Sozialismus des 21. Jahrhunderts ausgedient hat? Einiges deutet darauf hin. Nach dem Triumph von Chávez Ende der Neunziger erlebte die lateinamerikanische Linke ihren Höhenflug. Zuletzt aber musste sie zwei herbe Pleiten binnen zweier Wochen einstecken, zunächst bei der Präsidentschaftswahl in Argentinien, nun bei den Parlamentswahlen in Venezuela. Während noch in Brasilien die linksgerichtete Präsidentin Dilma Rousseff mit letzter Kraft gegen ihre Absetzung kämpft, ist also bereits klar: Das Pendel schlägt wieder nach rechts.

Der Nachlass von Hugo Chávez wurde abgewählt

Es ist aber auch nicht zu leugnen, dass Venezuela einen Sonderfall darstellt. Puristen des Sozialismus hatten schon lange keine Freude mehr an dem Land. Der noch amtierende Präsident Nicolás Maduro repräsentiert nicht die reine Lehre, sondern betrieb Kleptokratie im Namen des Volkes. Maduro ist auch nicht, wie oft beschrieben, ein Chávez ohne Charisma. Er ist ein Chávez ohne Skrupel. Gerade prinzipienfeste Sozialisten haben sich von Maduro abgewendet, mit dem Hinweis, dass er den letzten Rest der Revolution verraten habe.

Das ist ein wichtiger Grund für dieses Wahlergebnis. Entscheidend war aber auch, dass die traditionell stark fragmentierte Opposition erstmals seit 17 Jahren vereint gegen die Regierung angetreten ist. Unter dem Label "Tisch der demokratischen Einheit" (MUD) haben sich gemäßigte Zentrumspolitiker und konservative Hardliner zusammengefunden. Der MUD ist aber keine breite politische Bewegung. Seine Anführer reden weiterhin fröhlich aneinander vorbei. Sie eint allein die Abneigung gegen Maduro.

Auch deshalb ist nicht zu erwarten, dass Venezuela nun ruhigeren Zeiten entgegensieht. Kleinkriege an mehreren Fronten werden den von einer existenziellen Wirtschaftskrise gezeichneten Ölstaat lähmen. Beim MUD wird es darum gehen, wer nun der rechtmäßige Oppositionsführer ist, und damit der nächste Präsidentschaftskandidat. Nicolás Maduro ist bis 2019 gewählt und wild entschlossen, bis dahin weiterzuregieren - zur Not am Parlament vorbei. Das Ergebnis der demokratischen Wahl vom Sonntag bezeichnete er als "Etappensieg der Konterrevolution".

Wenn also jemand den Chavismus verraten hat, dann waren es Maduro und sein Gefolge. Der Chavismus ohne Hugo Chávez ist nun gescheitert. Der lateinamerikanische Sozialismus mag eine schwere Zukunft haben, er lebt noch in Bolivien und Ecuador. In Caracas ist er nur noch im Mausoleum zu finden.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: