Vatikan:Neuer Leitfaden zu Verfahren wegen sexueller Straftaten

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Papst Franziskus bei der Verleihung des Palliums an neue Erzbischöfe. Ein Vatikan-Handbuch gegen Missbrauch war schon lange erwartet. (Foto: Angelo Carconi/AFP)

Der Vatikan veröffentlicht ein Handbuch zu den Verfahren wegen sexueller Straftaten gegen Minderjährige.

Von Oliver Meiler, Rom

Ein Vademekum ist ein Wegbegleiter, in diesem Fall soll er katholische Bischöfe, Ordensobere und Rechtsanwender durch ein "Dickicht" führen, durch einen dichten Wald. So nennt Kardinal Luis Ladaria, Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, "die Normen und die Praxis" im Umgang mit Kinderschändern im Klerus.

Die jüngere Geschichte habe gezeigt, dass es sich bei den sexuellen Straftaten von Geistlichen gegen Minderjährige um ein "Geschwür" handle. Um ein verschlepptes und oftmals vertuschtes Geschwür, ließe sich anfügen. Die Skandale haben die katholische Kirche in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise gestürzt.

Der Leitfaden, den der Vatikan nun nach über einjähriger Arbeit vorlegt, ist kein neuer Gesetzestext. Rom rät zwar dringend, dass die Kirchenbehörden Verdachtsfälle staatlichen Behörden melden, wenn sie finden, dass das für den Schutz der Opfer nötig sei.

Keine generelle Pflicht zur Anzeige

Doch eine generelle Pflicht, Geistliche beim Staat anzuzeigen, wie das einige nationale Bischofskonferenzen beschlossen haben, hat der Vatikan nicht verhängt. Auch wird es weiterhin so sein, dass im Beichtstuhl bleibt, was im Beichtstuhl gesagt wird, selbst wenn die Beichte strafrechtlich relevant wäre. Als kirchenrechtliche Grundlage für die Ahndung gelten weiterhin die Paragrafen aus dem kanonischen Rechtskodex sowie die überarbeitete Fassung des päpstlichen Erlasses "Sacramentorum sanctitatis tutela" aus dem Jahr 2010 und von "Vos estis lux mundi" von 2019.

Die Gebrauchsanweisung definiert genau, was Kirchenleute, Anwälte und Assessoren an Diözesangerichten tun sollen bei der Behandlung von Missbrauchsfällen - und zwar "Schritt für Schritt", wie Luis Ladaria es nannte, gewissermaßen mit einer Checkliste vom ersten Verdachtshinweis bis zum Abschluss des Verfahrens.

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Matthias Katsch trug dazu dabei, Missbrauch durch Priester öffentlich zu machen. Nun fordert er, die Vorwürfe gegen zwei Einrichtungen in der Münchner Erzdiözese unabhängig prüfen zu lassen. Genau wie das Agieren von Joseph Ratzinger.

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Damit soll gewährleistet werden, dass zumindest innerhalb der Kirche die Handhabung überall auf der Welt einigermaßen dieselbe ist. Und das, so hofft man im Vatikan, stärkt nicht nur das Bewusstsein für das Problem, sondern auch die Motivation der Kirchenleute bei der strafrechtlichen Aufarbeitung des Geschwürs. Die Beharrlichkeit ist längst nicht überall gleich groß.

Experten hatten Papst Franziskus 2019 nach einem Gipfel zum Thema Missbrauch zur Ausarbeitung einer solchen Handreichung aufgerufen. Sie soll vor allem auch in Ländern, in denen das Rechtsverständnis und die Kenntnis über innerkirchliche Richtlinien nicht stark ausgebildet ist, als praktischer Ratgeber dienen. Das Dokument kam gleichzeitig in sieben Sprachen heraus, auch auf Deutsch, damit dann möglichst weite Teile der Kirche auf einen gemeinsamen Stand sind.

Neun Schritte und 164 Punkte

Neun Schritte und 164 Punkte hat die Glaubenskongregation ausgemacht für den Weg durch das "Dickicht", und da alle alles verstehen sollen, ist die Sprache für einmal direkt und nicht vatikanisch verschwurbelt gehalten. Zunächst definiert das Papier genau, was unter Straftat verstanden wird: von sexuellen Beziehungen (einvernehmlichen und nicht einvernehmlichen), über physischen Kontakt mit sexuellem Hintergrund, Exhibitionismus, Masturbation, Herstellung von Pornografie, Erwerb, Aufbewahrung und Verbreitung pornografischer Darstellungen von Minderjährigen seitens eines Klerikers zum Zweck sexuellen Lustgewinns in jeglicher Weise und mit jeglichem Mittel, Verleitung zur Prostitution bis zu Gesprächen und Angeboten sexueller Art, auch über Kommunikationsmittel.

Ausgeweitet wird der Begriff der Kenntnisnahme einer möglichen Straftat, der "Notitia de delicto" . Die kann auch von einer anonymen Quelle kommen; es dürfe nicht sein, dass ein Hinweis nicht identifizierbaren Ursprungs automatisch für falsch gehalten werde, auch wenn Vorsicht geboten sei. Selbst wenn der Hinweis vage gehalten ist, müsse er geprüft werden.

Auch Posts in den sozialen Netzwerken sollen künftig ausgewertet werden, wenn sie einen Hinweis enthalten. Oder anders: Kein Zeichen soll mehr ignoriert werden dürfen, auch dann nicht, wenn eine Straftat verjährt ist. Und wenn die Wahrscheinlichkeit eines Vergehens erst einmal gegeben ist, setzt immer sofort eine vorläufige Untersuchung ein.

In der Absicht, der Welt seine Entschlossenheit zu beweisen, hat der Vatikan auch das Faksimile eines Musterformulars für "Delicta Reservata" veröffentlicht, so etwas wie ein Strafregisterblatt. Alle persönlichen Daten des verdächtigten Klerikers sollen da eingetragen werden, seine kirchliche Karriere, seine Diensteinsätze, die Vorwürfe samt Tatort, Häufigkeit und Beschreibung der vorgeworfenen Handlungen, die Maßnahmen seitens staatlicher Stellen und Maßnahmen seitens kirchlicher Stellen. Damit in Zukunft nichts mehr spurlos verschwinden oder versanden kann.

© SZ vom 18.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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