USA:In aller Freundschaft

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Dass ausgerechnet die Amerika-Verehrerin Merkel die transatlantische Entfremdung zum Thema macht, liegt nicht nur an ihrer Enttäuschung über den US-Präsidenten.

Von Daniel Brössler und Robert Roßmann

Deutliche Distanz: Beim G- 7-Gipfel in Taormina ist Angela Merkel wohl klar geworden, dass sich Donald Trump diplomatisch nicht einhegen lässt. (Foto: Evan Vucci/AP)

Die Kanzlerin sprach nicht im Bundestag. Sie redete nicht vor dem Europaparlament. Sie trat lediglich in einem Bierzelt auf, einem Bierzelt in Bayern. Aber ihr Publikum waren trotzdem Europa und die USA. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei", die Europäer müssten jetzt ihr "Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen", sagte Angela Merkel am Sonntag in München mit Blick auf Donald Trump - und löste damit von Brüssel bis Washington gewaltige Reaktionen aus.

Dabei ist das, was sie ansprach, bereits gesagt worden, nur ein bisschen trockener. "Geeignete Zielvorgaben und strategische Autonomie sind wichtig, damit Europa fähig ist, innerhalb wie außerhalb der eigenen Grenzen den Frieden zu fördern und Sicherheit zu gewährleisten", hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bereits 2016 nach dem Brexit in ihrer "Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union" verkündet. Das bedeutet eigentlich dasselbe wie Merkels Erklärung. Aber was genau?

Die EU will militärisch unabhängiger werden - ein bisschen jedenfalls

"Strategische Autonomie" ist ein Reizbegriff in der Gemeinde der Sicherheitsexperten. Dort kam sofort der Verdacht auf, die EU wolle sich unabhängig machen von USA und Nato - und notfalls in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen. Das aber ist ein Missverständnis, das Mogherini immer wieder korrigieren musste. "Die EU ist keine Militärallianz und will auch keine sein", stellte sie kürzlich in Tallinn klar. Es gehe lediglich darum, die vorhandenen europäischen Mittel besser zu bündeln und zu nutzen.

Tatsächlich ist die militärische Zusammenarbeit in der EU bisher kaum ausgeprägt. Der Unwille, die Integration auch auf das Militärische auszuweiten, prägten das europäische Projekt von Beginn an. 1950 schlug Frankreichs Premier René Pleven die Schaffung einer europäischen Armee mit europäischem Verteidigungsminister vor. Ein paar Jahre später scheiterte der Plan dann - an Frankreich.

Zuletzt war es vor allem Großbritannien, das jedwede militärische Rolle der EU bremste oder blockierte aus Sorge, das könnte zulasten der Nato gehen. Viel mehr als die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hat deshalb das bevorstehende Ausscheiden Großbritanniens aus der EU den Aufbau einer Verteidigungsunion beflügelt. Bereits beim Gipfel im Juni soll das Projekt Gestalt annehmen; die EU-Kommission will dazu am Mittwoch kommender Woche ein Papier vorlegen. Schon beschlossen ist der Aufbau einer kleinen Kommandozentrale in Brüssel, die unter anderem ermöglichen soll, EU-Ausbildungsmissionen in Afrika besser zu führen. Außerdem sollen die Möglichkeiten des EU-Vertrages ausgeschöpft und Koalitionen der Willigen bei militärischen Projekten ermöglicht werden. Über die Einzelheiten dieser "ständigen strukturierten Zusammenarbeit" (Pesco) wird aber noch zwischen Deutschland und Frankreich gestritten. Verstärkt werden soll auch die Rüstungszusammenarbeit.

Alles das heißt aber nicht, dass die Europäer sich in Sachen Verteidigung nicht mehr auf die USA verlassen wollen würden. Eine derartige Unabhängigkeitserklärung ist weder beabsichtigt, noch hätte sie einen Bezug zur Wirklichkeit. Der EU geht es darum, punktuell - vor allem in Afrika - zügiger aktiv zu werden und gegenüber den USA militärisch zumindest ein wenig an Gewicht zu gewinnen. Mit der Nato hat die EU eine engere Kooperation vereinbart; keinerlei Ambitionen aber hat die EU, der westlichen Allianz bei der Territorialverteidigung Konkurrenz zu machen. Dazu wäre sie weder politisch noch militärisch in der Lage. Die Amerikaner geben sehr viel mehr Geld für Verteidigung aus als die Europäer. Jährlichen Verteidigungsausgaben von 545 Milliarden Euro in den USA stehen nach einer Aufstellung der EU-Kommission 227 Milliarden Euro in der Europäischen Union gegenüber. Den Europäern ist bewusst, dass sie mehr als nur ein "Stück" auf die USA angewiesen sind.

Aber warum hat sich dann jetzt auch Merkel so deutlich von den USA abgegrenzt?

Das hat zum einem mit der Erkenntnis zu tun, dass der Versuch, Trump diplomatisch einzuhegen, gescheitert ist. Spätestens auf dem G-7-Gipfel in Taormina wurde klar, dass all jene falsch lagen, die darauf gesetzt hatten, dass Trump mit jeder Woche im Amt normaler werden würde - oder dass ihn seine Berater wenigstens einigermaßen kontrollieren könnten. Trump ist eine Gefahr für einen Großteil dessen, was die westliche Staatengemeinschaft in Jahrzehnten aufgebaut hat. Der US-Präsident ist es, der gerade die Verbindungen nach Europa infrage stellt. Merkel hat jetzt lediglich darauf reagiert. Dass die Kanzlerin das so deutlich getan hat, ist aber überraschend. Merkel ist eher für politisches Feinjustieren bekannt - und nicht für Kraftmeiereien im Bierzelt. Außerdem ist sie bisher nicht gerade durch übermäßige Kritik an den USA aufgefallen.

In ihrem 18. Jahr als CDU-Chefin ist Merkel von ihrem Glauben an die USA abgefallen

Um zu ermessen, wie weit der Weg der CDU-Chefin zu ihrer Truderinger Bierzelt-Erklärung war, muss man sich nur noch einmal Merkels Bundestagsrede zum Nein der rot-grünen Regierung zu einem militärischen Eingreifen im Irak anhören. Das war im Sommer 2002, eine Bundestagswahl stand bevor. Während der damalige Kanzler Gerhard Schröder auf maximale Distanz zu den USA ging, beließ es Merkel aus Loyalität zu den Vereinigten Staaten bei einem wackligen Jein. Vor einer Reise in die USA schrieb die CDU-Chefin Anfang 2003 sogar einen Beitrag für die Washington Post, in dem sie betonte: "Schröder spricht nicht für alle Deutschen." Merkel warf dem Kanzler in dem Artikel vor, "aus wahltaktischen Gründen" zu agieren.

Merkel ist nicht nur eine überzeugte Transatlantikerin. Sie war über den größten Teil ihrer Amtszeit hinweg bis zur Selbstverleugnung loyal gegenüber den USA. Weder George W. Bush noch die Abhörpraktiken der NSA konnten ihr Amerika-Bild erschüttern. Insofern ist Merkels Erklärung vom Sonntag fast schon von historischer Bedeutung. In ihrem 18. Jahr als CDU-Chefin scheint Merkel vom absoluten Glauben an die USA abgefallen zu sein.

Das hat jedoch nicht nur mit Trump zu tun. Merkel, die 2003 noch Gerhard Schröder "wahltaktische Gründe" für seine Distanz zu den USA vorgeworfen hat, weiß um die Stimmung in Deutschland. Umfragen zufolge halten mehr als 80 Prozent der Anhänger von Union, SPD, Grünen und Linken nichts von Trump. Lediglich bei AfD-Wählern genießt der US-Präsident Sympathien. Merkel will vier Monate vor der Bundestagswahl nicht, dass die anderen Parteien vom Anti-Trumpismus profitieren. Die SPD und ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz hatten in den vergangenen Wochen bereits versucht, mit dem Thema zu punkten. Mit ihrer Erklärung von Trudering hat die Kanzlerin die offene Wahlkampf-Flanke der Union jetzt geschlossen. Anders gesagt: Merkel hat erfolgreich geschrödert.

© SZ vom 30.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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