USA:Geschlechterkrampf

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In Amerika wächst das Misstrauen zwischen Männern und Frauen.

Von Kathrin Werner

Mike Pence isst nicht, wenn er allein mit einer Frau ist. Es sei denn, sie ist seine eigene. Der Vizepräsident der USA geht weder zum außerehelichen Mittag- noch zum Abendessen allein mit einer Mitarbeiterin, Freundin, Parteikollegin oder politischen Gegnerin. Als das kürzlich bekannt wurde, regten sich viele Amerikanerinnen auf: Lächerlich, diskriminierend, rückwärtsgewandt sei Pence. Der Erzkonservative verbaue Frauen ihre Aufstiegschancen, wenn er mit männlichen Mitarbeitern diniert und die weiblichen nach Hause schickt, so klagten Frauen in den Cafés von Brooklyn oder San Francisco. Im Internet tobten manche, Pence reduziere Frauen auf Objekte der Versuchung. Dies hindere Frauen, in den inneren Zirkel der Macht zu gelangen.

Jetzt ist klar geworden, dass Pence nicht allein ist mit seiner Vorsicht. 60 Prozent aller Amerikanerinnen würden sich nie allein mit einem Mann auf ein Bier oder anderes Getränk verabreden, 53 Prozent lehnen es ab, allein mit einem Mann zu Abend zu essen. Das hat eine groß angelegte Umfrage des Marktforschungsinstituts Morning Consult im Auftrag der New York Times ergeben. Bei den Männern sind die Zahlen niedriger, aber nur etwas.

Enge Freundschaften über Geschlechtergrenzen hinweg gelten in den USA also als heikel, sie haben etwas Suspektes. Und die Vorsicht davor, mit dem anderen Geschlecht allein zu sein, setzt sich in der Arbeitswelt fort: Gut ein Viertel aller Männer und Frauen, die an der Umfrage teilnahmen, halten es für unangemessen, eine Besprechung unter vier Augen mit einem Kollegen des anderen Geschlechts abzuhalten. Fast zwei Drittel gaben an, dass sie am Arbeitsplatz besonders vorsichtig sind, wenn ein Kollege des anderen Geschlechts in der Nähe ist.

Die Vereinigten Staaten haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl prominenter Fälle sexueller Belästigung erlebt. Der Nachrichtensender Fox News und der Taxi-Dienst Uber zum Beispiel haben Dutzende Männer wegen Übergriffen gefeuert, unter ihnen jeweils die Unternehmenschefs. Viele Firmen sensibilisieren ihre Mitarbeiter in einem Unterricht, wie sie sexuelle Belästigung verhindern. Umfragen zufolge ist ein Viertel der Frauen in den USA schon einmal am Arbeitsplatz belästigt worden - und gerade in der als locker und informell geltenden IT-Industrie gebe es besonders viele Fälle.

Amerikanerinnen haben daraus gelernt, Situationen zu umgehen, in denen es zu Belästigung kommen kann. Amerikaner dagegen haben Angst vor falschen Vorwürfen. Eine Umfrage aus dem Jahr 2010 hat ergeben, dass fast zwei Drittel aller Topmanager nie mit Mitarbeiterinnen alleine sind, weil sie nicht den Eindruck erwecken wollen, sie hätten eine Affäre.

Das andere Geschlecht zu meiden sei schlecht für Frauen, denen Kontakt mit Vorgesetzten bei der Karriere hilft und die dargestellt werden, "als wollten sie mächtige Männer entweder verführen oder ihnen Belästigung vorwerfen", sagen die Professoren Brad Johnson und David Smith von der Akademie der US-Navy. "Geschlechter-Quarantäne unterstreicht außerdem das Vorurteil, dass Männer unterentwickelte Sexbesessene sind." Nur wenn diese Klischees aus der Welt geschaffen werden, könne sich der Umgang normalisieren.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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