USA: Amtsantritt von Obama:Zimmer mit Aussicht auf das Weiße Haus

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Obama ist in Washington angekommen und zieht in ein Hotel. Zudem braucht er einen neuen Handelsminister - dem Kandidaten wird Korruption vorgeworfen.

C. Wernicke

Dem feinen Hay-Adams-Hotel hat es schon immer gefallen, mit seiner Aussicht gen Süden zu werben. Der "direkte und unverstellte Blick auf das Weiße Haus" ist ein Reiz, mit dem die Nobelherberge zu Washington um eine Klientel buhlt, die für eine exklusive Nacht etwa in der Präsidenten-Suite ohne Zaudern 3200 Dollar zu zahlen bereit ist.

Die Vorbereitungen für die Inauguration des künftigen US-Präsidenten Barack Obama am 20. Januar laufen: Entlang der Pennsylvania Avenue in Washington werden Zuschauertribünen aufgebaut (im Hintergrund das Kapitol, in dem Senat und Repräsentantenhaus untergebracht sind). (Foto: Foto: AP)

Feinstes Leinen, beste Daunen und ergebener Service rund um die Uhr umschmeicheln jeden Gast. Aber noch niemand im Hay-Adams hat je die Perspektive genossen, er könne je erreichen, was er dort vor Augen hat: das Recht nämlich, demnächst bei freier Kost und Logis tatsächlich einzuziehen in das Herrenhaus gegenüber in 1600 Pennsylvania Avenue.

Seit Sonntagabend leben die vier Obamas zusammen in ihrer Hotelsuite mit besonderer Aussicht. Vater Barack, der designierte Präsident, kam einen Tag später als Ehefrau Michelle sowie die Töchter Mali (10) und Sasha (7), die sich überraschend schon am Samstagabend durch den Hintereingang ins Hay-Adams geschlichen hatten.

Dass die Obamas bereits mehr als zwei Wochen vor der offiziellen Vereidigung des 44. US-Präsidenten in die Hauptstadt strebten, hatte die Protokollabteilung der noch amtierenden Bush-Regierung überfordert: Das feine Blair House, das offizielle Gästehaus der Republik, sei - leider, leider - bis zum 15. Januar ausgebucht für allerlei Festlichkeiten und Empfänge. Also floh die demnächst erste Familie zur zweitbesten Adresse in Washington - in das mit fünf Sternen dekorierte Hay-Adams.

30.000 Dollar Schulgeld

Dort beginnt von Montag an der neue Alltag. Nach der Neujahrspause öffnet die renommierte Sidwell School ihre Tore, und Malia und Sasha sollen vom ersten Tag an dabei sein. Die von Quäkern gegründete Lehranstalt genießt einen exzellenten Ruf, hier bimsten schon die Kinder von Theodore Roosevelt, Richard Nixon sowie Bill und Hillary Clinton.

Die Obamas erwogen nie ernsthaft, ihre Töchtern auf eine öffentliche Schule zu schicken. Der notorisch miserable Ruf von Washingtons Erziehungswesen übertönte all die politisch-korrekten Appelle linker Parteifreunde. Diese Entscheidung hat - mit bis zu 30.000 Dollar Schulgebühr pro Kind und Jahr - einen Preis, der noch um ein Drittel über dem Tarif der bisherigen Privatschule in Chicago liegt.

Auch ohne festen Wohnsitz zieht Ordnung ein ins neue Leben. Beruflich aber muss Obama eine Menge Unruhe ertragen. Am Sonntag ging ihm plötzlich sein Wirtschafts- und Handelsminister verloren: Der (bisher allenfalls sehr leise) Verdacht, Bill Richardson könne als Gouverneur von New Mexiko einer Beraterfirma 2004 einen 1,5-Milliarden-Vertrag zugeschanzt haben, nachdem das Unternehmen ihm zuvor 100.000 Dollar für seinen Wahlkampf gespendet hatte, drohte Richardsons Anhörung im Senat über Monate hinzuziehen. "In großer Trauer," so ließ der Latino verlauten, müsse er deshalb verzichten.

Richardson bleibt aber Gouverneur, vorerst jedenfalls. Selbst Republikaner ließen durchblicken, sie glaubten an Richardsons Unschuld. Und Obama deutete am Sonntag an, er wolle den treuen Parteifreund später nachholen: Dessen "zukünftigen Diensten in meiner Regierung" sieht der 44. Präsident in Vorfreude entgegen.

Obama lernt gerade zu jonglieren. Das verlangt das erste und wohl teuerste Projekt seiner Präsidentschaft: 775, vielleicht auch 850 Milliarden Dollar will er binnen zwei Jahren ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Am Montag trifft Obama deshalb die Kongressführung.

Als erste sind Nancy Pelosi und Harry Reid dran, die mächtigsten Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat. Deren Vertraute wie auch ein Brandbrief der demokratischen Gouverneure im Land haben zuletzt so viele Begehrlichkeiten für Straßenbau und Nahverkehr, mehr Arbeitslosenhilfe und Krankenversicherung und für einen "ökologischen Umbau" der Wirtschaft aufgelistet, dass Experten den Wert des Konjunkturpakets inzwischen auf über eine Billion Dollar taxieren. Vorsorglich hat Obama nun die Weisung erteilt, nur ja unter der magischen Schwelle von eintausend Milliarden Dollar zu bleiben.

In seiner wöchentlichen Radioansprache am Samstag nannte Obama keine neuen Ziffern. Aber er setzte den überparteilichen Ton: "Ökonomen jeder politischen Färbung stimmen überein", so dozierte der Noch-Nicht-Präsident bereits sehr staatstragend, "dass wir einen noch tieferen Abschwung und eine verdoppelte Arbeitslosigkeit erleben, wenn wir nicht schnell und kühn handeln". Das zielt vor allem auf die Republikaner. Denn Obama will wenigstens 20 der gut 40 Republikaner im Senat für seinen Plan gewinnen und so mit seinem Notplan zugleich ein Zeichen nationaler Einheit setzen.

Nach solcherlei Eintracht suchen die Demokraten vorerst auch unter sich selbst. Die so genannten "Blue Dogs", also fiskalisch konservativ veranlagte Parteifreunde, verlangen, Obama solle zugleich Ideen entwickeln, wann und wie er all die neuen Schulden je zurückzahlen wolle. Und Abgeordnete aus Amerikas niedergehenden Industriegebieten pochen darauf, alle öffentliche Aufträge aus dem Notplan müssten - per "Buy American"-Klausel - allein an US-Anbieter gehen.

Eine neue Rassenfrage

Und im US-Senat geht die demokratische Fraktion vorerst auf Selbstfindung. Der vom korrupten Gouverneur von Illinois, Rod Blagojevich, zum Obama-Nachfolger ernannte Roland Burris nämlich will sich nicht damit abfinden, dass alle führenden Demokraten in Washington (inklusive Obama selbst) argumentieren, wer immer von diesem Gouverneur in die Hauptstadt entsandt werde, sei gleichsam per Berührung und Kollektivschuld dieses Amtes unwürdig. Juristisch ist diese Position kaum haltbar.

Und auch politisch macht Burris nun erstaunlich selbstbewusst Druck: Am Sonntag etwa trieb es den schwarzen Politiker und ehemaligen Rechnungsprüfer des Staates Illinois in den schwarzen Süden von Chicago, wo afro-amerikanische Gruppen und Sympathisanten inzwischen sehr laute Mahnwachen für Burris inszenieren. Ausgerechnet das Senatserbe von Obama, dem vermeintlich post-rassischen Präsidenten, beschert den Demokraten nun eine neue Rassenfrage. Keine Aussichten, wie sie sich Obama wünscht zum Neuanfang.

© SZ vom 05.01.2009/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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