Vielleicht hat sogar Donald Trump gemerkt, dass er einen Fehler gemacht hat. Vielleicht hat ihm auch einer seiner Berater gesagt, das Loch sei jetzt tief genug, er solle lieber aufhören zu graben. Jedenfalls war am Dienstagmorgen der bis dahin letzte Tweet des Republikaners, in dem der Name "Khan" vorkam, 26 Stunden alt. Ein ganzer Tag des Schweigens - ungewöhnlich für Trump.
Der Grund ist offensichtlich. Noch vor wenigen Tagen führte der republikanische Präsidentschaftskandidat in den Umfragen vor der Demokratin Hillary Clinton, einige Meinungsforscher gaben ihm eine Chance von mehr als 50 Prozent, die Wahl im November zu gewinnen. Doch der Vorsprung ist plötzlich weg - nicht bloß geschrumpft, sondern ausradiert. In neuen Erhebungen liegt Trump nun in den wichtigsten Staaten und landesweit mit 40 bis 45 Prozent deutlich hinter Clinton. Die Autoren des Wahlblogs Fivethirtyeight errechneten für Trump am Dienstag eine Siegchance von gerade noch 16 Prozent.
Der Umschwung dürfte zum einen mit dem "convention bounce" zu tun haben, dem üblichen Sprung in den Umfragewerten für einen Kandidaten nach dem Wahlparteitag. Trumps Werte stiegen nach dem Konvent in Cleveland vor zwei Wochen um einige Prozentpunkte. Dass nun auch Clinton zulegt, die ihren Parteitag vorige Woche in Philadelphia feierte, ist kaum überraschend. Gut möglich, dass sich die Werte in den nächsten Tagen wieder auf gleichem Niveau einpendeln.
Doch andererseits ist ebenso denkbar, dass sich Trump durch seine Tiraden gegen die Familie Khan längerfristig echten Schaden zugefügt hat. Zum ersten Mal seit Monaten fragen Wahlstrategen wieder, ob der Kandidat, der bisher jede Kontroverse überstanden hat, dieses Mal nicht wirklich zu weit gegangen ist.
Allein die Dauer, die sich der Streit zwischen den Khans und Trump nun schon hinzieht, ist bemerkenswert. Am Donnerstag hatte Khizr Khan, der Vater des 2004 im Irak gestorbenen muslimischen US-Hauptmanns Humayun Khan, bei den Demokraten in Philadelphia geredet und Trump vorgeworfen, grund- und skrupellos gegen Muslime zu hetzen. Aus der Rede wurde am Samstag und Sonntag ein heftiger Schlagabtausch mit Trump, der Khans Frau Ghazala attackierte. Auch am Montag und Dienstag beherrschte das Thema noch die Wahlkampfberichterstattung. Tenor: Trump beleidigt die Eltern eines für Amerika gefallenen Helden. Parallel dazu gingen Trumps Umfragewerte steil nach unten.
Viele Republikaner distanzieren sich von Trump - aus Kalkül oder aus tatsächlichem Ekel
Für Trump sind Provokationen, Beleidigungen und Beschimpfungen Teil seines Wahlkampfkonzepts. Anzugreifen und draufzuhauen entspricht seinem Temperament, aber auch seiner (nicht ganz falschen) Überzeugung, dass nur Krawall Aufmerksamkeit bringt. Kritik nimmt er sehr persönlich. Ein Auftritt wie der Khizr Khans ist für ihn ein Affront, auf den er entsprechend harsch antwortet.
Bisher ist Trump damit gut gefahren. Seine Offenheit unterschied ihn im Vorwahlkampf von den zahmeren Gegenkandidaten, und viele Bürger haben bei Trump das Gefühl, endlich sage da mal einer, was wirklich Sache sei. Er könnte "auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, ohne deswegen einen einzigen Wähler zu verlieren", hat Trump einmal gesagt. Sein Erfolg bestätigte das.
Die trauernden Eltern eines dekorierten Offiziers, der auf dem Nationalfriedhof in Arlington liegt, sind freilich kein brauchbares Ziel für Pöbeleien. Die republikanische Parteispitze hat sich von der Affäre so schnell wie möglich distanziert - sei es, weil die Profipolitiker sehen, wie heikel die Lage ist, sei es, weil sie wie der VietnamVeteran John McCain ernsthaft angewidert sind. "Niemand stört es, wenn Trump andere Politiker attackiert. Im Gegenteil, das gefällt den Leuten", sagte der republikanische Meinungsforscher Frank Luntz der Washington Post. "Aber sie mögen es nicht, wenn er auf normale Menschen losgeht." Ähnlich sieht es der demokratische Wahlstratege David Axelrod: Den Leuten gefalle es, wenn Trump den Mächtigen in den Hintern trete. "Aber ich glaube, sie zucken zurück, wenn er Menschen unfreundlich behandelt, die verwundbar oder durch und durch ehrenhaft sind."
Trump ist nicht der erste US-Präsident oder Kandidat, der von den Eltern gefallener oder verwundeter Soldaten angegangen wurde. George W. Bush musste sich in seiner Amtszeit immer wieder derartige Vorwürfe anhören, reagierte aber stets gelassen und verständnisvoll.
Wie sich so eine Situation professionell meistern lässt, hätte Trump sich auch bei Hillary Clinton abschauen können. Die Republikaner hatten bei ihrem Parteitag im Juli Patricia Smith auftreten lassen, deren Sohn Sean 2012 bei dem Terrorangriff auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi gestorben war. Clinton, die damals Außenministerin war, trage persönlich Mitschuld am Tod ihres Sohnes, klagte Smith unter Tränen. Bis heute lüge die Demokratin über die Hintergründe des Attentats.
Von Clintons Wahlkampfteam kam damals praktisch keine Antwort, nur eine dürre Stellungnahme, in der andere Angehörige von Bengasi-Opfern Clinton in Schutz nahmen. Auf die Vorwürfe einiger Mütter angesprochen, die Söhne in Libyen verloren haben, sagte Clinton am Sonntag: "Ich fühle mit ihnen. Ein Kind zu verlieren, unter solchen Umständen - ich verstehe ihr Leid und das unglaubliche Gefühl des Verlusts".