US-Geheimdienst über Nordkoreas Atomraketen:Profilierungssucht trifft Weltpolitik

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Eine Militärparade zum 100. Geburtstag von Nordkoreas Staatsgründer Kim il Sung. (Foto: REUTERS)

Ein Republikaner zitiert aus Geheimdienstpapieren und die Welt rätselt: Kann Nordkorea tatsächlich Raketen mit Atomsprengköpfen bestücken? Welchen Ruf die Agenten der DIA genießen, wieso Geheimdienstchef Clapper sofort dementiert und was der konservative Politiker wirklich im Sinn hatte.

Antworten auf die wichtigsten Fragen. Von Reymer Klüver

Es war eher ein Zufall. Die Washingtoner Geheimdienstexperten wollten offenkundig nicht, dass die Sache publik wird. Aber ein republikanischer Abgeordneter posaunte sie heraus, gerade als ihm der Koordinator aller 16 US-Geheimdienste bei einer Anhörung im Kongress gegenübersaß: Nordkorea kann inzwischen eine Rakete mit einem nuklearen Sprengkopf ausrüsten - und abfeuern.

Jedenfalls glaubt das die Defense Intelligence Agency (DIA), ein Geheimdienst des US-Militärs, der sich auf Raketen spezialisiert hat. Chef-Koordinator James Clapper, Washingtons oberster Geheimdienstmann, ließ sofort dementierten. Das sei ganz und gar nicht die Meinung der übrigen amerikanischen Geheimdienste.

Nun herrscht Verwirrung. Können die Nordkoreaner doch mehr, als man bislang dachte? Oder ist die DIA-Einschätzung nur die Bestätigung alter Befürchtungen? Bisher gingen Experten davon aus, dass Nordkorea über genug spaltbares Material für sechs bis acht Bomben verfügt. Unklar aber war, ob sie daraus nur relativ krude Bomben bauen können. Oder aber, ob es ihnen inzwischen gelungen ist, die Sprengladungen zu "miniaturisieren". Sie müssen so klein gemacht werden, dass sie als Sprengkopf in eine Rakete passen, ohne wesentlich an Zerstörungskraft einzubüßen.

Vermutet wurde, dass die Nordkoreaner genau dies bei ihrem jüngsten Atomtest im Februar ausprobiert haben. Genaueres aber weiß man nicht. Deshalb hatte das amerikanische Militär Spezialflugzeuge in die Region geschickt, die in der Luft nach radioaktiven Partikeln suchen sollten. Sie fanden nichts. Zumindest wurde nichts bekannt. Aus der Zusammensetzung der Spurenelemente hätten sie schließen können, um welche Art von Explosion es sich gehandelt hat. Spuren angereicherten Urans hätten darauf hingedeutet, dass die Nordkoreaner tatsächlich Fortschritte bei der Miniaturisierung gemacht hätten. Offenbar geht davon nun die DIA aus.

Was aber hat die DIA genau gesagt?

Bekannt geworden ist bislang nicht viel. Das meiste ist geheim. Nur einen Absatz hat der Abgeordnete Doug Lamborn zitiert: "Die DIA nimmt mit gewissen Vorbehalten an, dass der Norden über Nuklearwaffen verfügt, die mit ballistischen Raketen abgefeuert werden können. Allerdings dürfte deren Zuverlässigkeit gering sein." Das heißt im Grunde nicht viel mehr, als man bisher schon wusste: Nordkorea macht Fortschritte.

Letztlich weiß aber auch die DIA nicht, ob die Nordkoreaner ihr Ziel tatsächlich schon erreicht haben - deshalb die Vorbehalte. Klar aber ist, dass die Flugtauglichkeit und Zielgenauigkeit der Raketen gering sein dürften: Sie sind einfach nicht genug getestet.

Sie ist ein Geheimdienst, der im Kalten Krieg von Präsident John F. Kennedy 1961 eingerichtet wurde. Heute arbeiten dort mehr als 16.500 Leute - ein gigantischer Apparat, der allerdings in Washington nicht den besten Ruf hat.

Ein Grund: Vor gut zehn Jahren gehörten die DIA-Experten zu jenen in Washington, die am lautesten vor den vermeintlichen Atomwaffen des irakischen Diktators Saddam Hussein warnten - und damit Präsident George W. Bush einen Kriegsgrund gaben. Es stellte sich bekanntlich schnell heraus, dass Saddam weder Atomwaffen besaß noch kurz davorstand, entsprechende Fähigkeiten zu entwickeln.

Warum hat Geheimdienstkoordinator Clapper die Meldung sofort relativiert?

Zweifellos birgt die DIA-Einschätzung politischen Sprengstoff: Sie ist die erste Geheimdienstanalyse, die klar sagt, dass die Nordkoreaner bereits durchaus in der Lage sind, zumindest wohl Ziele in Südkorea, Japan und vielleicht auch den amerikanischen Pazifikstützpunkt Guam anzugreifen.

Bisher ist die Meinung der Experten, dass Kim Jong Uns Wissenschaftler auf den Weg dahin sind, dass sie das aber noch nicht geschafft haben. Das glauben wohl auch noch die meisten anderen der US-Geheimdienste. Deshalb veröffentlichte Clapper diese Erklärung: "Nordkorea hat noch nicht die Fähigkeiten in vollem Umfange bewiesen, die für eine mit einem nuklearen Sprengkopf ausgerüstete Rakete nötig sind."

Warum hat der Republikaner Doug Lamborn die DIA-Analyse dennoch öffentlich gemacht?

Lamborn vertritt einen Wahlkreis in Colorado und gehört zu den konservativsten der Republikaner im Kongress. Er ist der Überzeugung, dass die Haushaltskürzungen, die Präsident Barack Obama nun auch bei den Militärausgaben durchsetzt, dem Land (und der Rüstungsindustrie) schaden.

Das machte er nach der Anhörung im Kongress deutlich: "Wenn ich diese Sache ans Licht gebracht habe, so war meine ganze Absicht nur, sicherzustellen, dass wir nicht beim Raketenabwehrprogramm kürzen", sagte er der Washington Post. "Zum ungeeignetsten Zeitpunkt macht der Haushaltsplan des Präsidenten aber genau das." Klarer konnte er seine Motive kaum formulieren.

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