Asylunterkünfte:So kann ein zweites Ellwangen verhindert werden

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Beamte führen bei dem Einsatz im Mai 2018 einen mit Kabelbindern gefesselten Flüchtling in Ellwangen ab. (Foto: Thomas Niedermueller/Getty)

Krawall, gefesselte Flüchtlinge, Polizisten in Kampfmontur: Wenn bundesweit Asyl-Massenunterkünfte entstehen, drohen wöchentlich solche Szenen. Doch humane Anker-Zentren sind möglich.

Kommentar von Bernd Kastner

Ellwangen ist Gift. Die Krawalle von Flüchtlingen, die Großrazzia, gefesselte Afrikaner, abgeführt von Polizisten in Sturmhaube - diese Bilder aus der kleinen Stadt in Baden-Württemberg vergiften das Bemühen um Integration. Sie beunruhigen Einheimische, die sich fürchten vor renitenten Migranten und sich fragen, wie wehrhaft der Staat ist. Auch Flüchtlinge sind verunsichert ob der schwer bewaffneten Polizei. Die Bilder aus Ellwangen erschweren das gedeihliche Miteinander.

Ellwangen könnte bald auch anderswo sein: Bundesinnenminister Horst Seehofer will sogenannte Anker-Zentren einrichten. "Anker" steht für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung" - nicht für den Halt, den ein Anker geben sollte. Wenn bundesweit Massenunterkünfte entstehen, sind wöchentlich Szenen wie in Ellwangen zu befürchten.

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Anker-Zentren dienen nicht der "Internierung", wie es die Gewerkschaft der Polizei in gefährlicher Übertreibung an die Wand malt. Aber sie werden auf die Einquartierten wie abgeschottete Lager wirken. In solch einer Umgebung gedeiht der Frust. Wenn dann die Polizei regelmäßig Menschen nachts aus dem Bett holt, um sie in Abschiebehaft oder gleich zum Flughafen zu bringen, wird daraus schnell Aggression. Die ist nicht zu tolerieren, aber ihr Entstehen ist beinahe logisch.

Was tun, um Geschehnisse wie in der vergangenen Woche nicht zur Routine werden zu lassen? Soll der Staat auf Abschiebungen verzichten? Nein. So bitter sie für die Gescheiterten sind, sie sind notwendig, um das Asylsystem zu erhalten.

Das Mosaik der Menschlichkeit hat einen Namen: Integration

Der Staat mus auch nicht auf die Anker-Zentren verzichten, so irreführend und euphemistisch ihr Name auch sein mag. Entscheidend ist, diese Zentren human zu organisieren. Es ist in Ordnung, neu Angekommene zunächst in größeren Heimen unterzubringen, wo alle Behörden vertreten sind, um rasch zu entscheiden.

Schnelle Klarheit ist aber nur für die möglich, die bleiben dürfen. Wer abgelehnt wird, zieht meist vor Gericht, und es vergehen viele weitere Monate. Müssen Menschen, die um ihre Zukunft bangen, ihre Wartezeit hinterm Stacheldraht einer alten Kaserne absitzen, ohne arbeiten zu dürfen, droht Eskalation à la Ellwangen.

Was also tun? Es sind viele kleine Mosaiksteine, die Behörden und Politik behutsam zusammenfügen sollten; jeder einzelne davon ist nicht sonderlich schillernd, aber er hilft, die Ankunftsphase gut zu gestalten. Dazu gehört eine "Obergrenze" für die Zahl der Bewohner eines solchen Zentrums und für ihre Verweildauer dort; zwölf Wochen sind noch okay, zwölf Monate nicht. Ein weiterer Mosaikstein sind durchlässige Türen: Auch Nachbarn und Journalisten sollen sich ein Bild der Unterkünfte machen dürfen; Ehrenamtlichen muss der Zutritt erlaubt sein. Vor allem aber braucht es viel mehr Hauptamtliche. Jeder Asyl- und Sozialberater, der das komplizierte Verfahren erklärt, schafft mehr Ruhe und Sicherheit, als es zehn Security-Leute vermögen.

All das ist mühsam, aber die Mühe wird sich lohnen. Der Lohn ist ein Mosaik der Menschlichkeit. Dieses Mosaik wird nie perfekt sein, es wird Lücken haben. Aber es lässt erkennen, dass sich Deutschland bemüht, auch jene gut und fair zu behandeln, die gehen müssen. Davon profitieren alle. Die, die schon immer hier leben, und jene, die bleiben dürfen. Dieses Mosaik hat einen Namen: Integration.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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