Unruhen in Syrien:Assads geerbte Loyalität

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Der Zivilist lässt die Panzer rollen: Anders als die gestürzten Machthaber in Ägypten und Tunesien kann Syriens Präsident Assad vorerst darauf zählen, dass die Armee ihn bei der Unterdrückung der Proteste unterstützt. Doch auch die Loyalität seiner Offiziere könnte ihre Grenzen haben.

Tomas Avenarius

Syriens Präsident Baschar al-Assad scheint sich der Loyalität seiner Offiziere sicher zu sein: Er schickt Panzer, um den Aufstand der Opposition unterdrücken zu lassen. Ohne jeden Zweifel wird Assad dabei den dramatischen Verlauf der Revolutionen in Tunesien und Ägypten im Hinterkopf gehabt haben: Dort haben die hohen Armeeoffiziere sich nach wochenlangen, blutigen Auseinandersetzungen zwischen Regimegegnern und der Polizei auf die Seite der Opposition geschlagen und die seit Jahrzehnten herrschenden Autokraten von der Macht vertrieben.

Mediziner, Armee-Praktikant, Diktator: Baschar al-Assad, Syriens Machthaber. (Foto: REUTERS)

Und das, obwohl Ägyptens Präsident Hosni Mubarak ein Kriegsheld war und Tunesiens Staatschef Zine el-Abedine Ben Ali ebenfalls lange Uniform getragen hatte.

Der Syrer Assad ist Zivilist, obwohl er vor seiner Machtübernahme im Jahr 2000 kurzzeitig bei einer Panzereinheit als Offizier gedient hat. Das Praktikum bei den Soldaten war für den studierten Mediziner zwingend: Es sollte ihn als Nachfolger seines Vaters, des Luftwaffenoffiziers Hafis al-Assad, auch bei den Offizieren Legitimität verschaffen. Aber auch ohne glaubwürdige Verwurzelung unter den Offizieren scheint der Präsident überzeugt davon zu sein, dass er sich auf seine Generale verlassen kann.

Der Grund: Die Armee ist wegen der jahrzehntelangen Herrschaft von Baschars Vater eng mit dem Regime verflochten. Assad senior war Kampfflieger, putschte 1961 zusammen mit anderen Offizieren und errichtete später den bis heute überlebenden Staat der Baath-Partei. Baschars älterer Bruder Basil war bis zu seinem Tod bei einem Autounfall ebenfalls ein Mann der Armee; Baschars jüngerer Bruder Maher kommandiert eine Elite-Einheit. Und Assef Schaukat, der Schwager des Präsidenten, ist Generalstabschef der Armee.

So erscheint die syrische Armee als Familiengeschäft der Assads.

Die Streitkräfte sind rund 200.000 Mann stark und damit nicht nur für nahöstliche Maßstäbe groß. Aber Gerät, Ausbildung und Strategie sind veraltet und lassen die Truppe im Krieg begrenzt einsatzfähig erscheinen: Gegen die hochmodernen israelischen Streitkräfte etwa hätten die Syrer mit ihren veralteten sowjetischen und russischen Panzern in einem konventionellen Krieg wenig Chancen.

Bei inneren Unruhen aber spielen hohe Beweglichkeit und die computergesteuerte Zusammenarbeit zwischen Luftwaffe, Heer und Marine keine Rolle: Vor allem Eliteeinheiten wie die 4. Panzerdivision, die von Präsident Assads Bruder Maher kommandiert wird, gelten als loyal und damit als geeignet für den Kampf gegen die Rebellion. Sie dürften neben anderen Spezialeinheiten der Armee bevorzugt zum Einsatz gegen die Aufständischen in den Städten kommen.

Die Frage ist dennoch, wie lange Assads Offiziere und Soldaten bereit sind, auf ihre Landsleute zu schießen. Das Gros der einfachen Soldaten bilden Wehrpflichtige. Da sich die gebildeteren Städter der Mittel- und Oberklasse dem Wehrdienst leicht entziehen können, kommt die Mehrheit der Soldaten aus armen, ländlichen Gegenden des Landes. Sie gelten als diszipliniert und dürften sich den Befehlen nicht so schnell widersetzen: Für sie bietet die Armee soziale Aufstiegschancen, die sie nicht ohne weiteres riskieren werden.

Je höher die Opfer unter den oft sunnitischen Demonstranten werden, desto eher könnten sie sich dem Schießbefehl widersetzen.

Das Offizierskorps hingegen rekrutiert sich seit den Tagen der französischen Mandatsherrschaft vor allem aus den Angehörigen zweier religiöser Minderheiten Syriens: der Alawiten und der Drusen. Beide Religionsgruppen sind im Grunde islamische Sekten; die Assads selbst sind Alawiten.

Die Zugehörigkeit vieler Armee- und Geheimdienstoffiziere zu dieser Minderheit garantiert den Zusammenhalt untereinander und bindet das Offizierskorps zugleich an die Assad-Familie und das Regime. Auch die Drusen sind eine Minderheit im Nahen Osten, die sich häufig dem herrschenden Regime andienen: In Israel etwa unterhalten die arabischen Drusen gute Beziehungen zum jüdischen Staat und dienen in seiner Armee.

Zudem ist in Syrien ein guter Teil der höheren Offiziere über die herrschende Baath-Partei an das Regime gebunden. Die Parteimitgliedschaft ist nicht zwingend. Allerdings sinken die Karriereaussichten in der Truppe, wenn einer kein Parteibuch hat. Doch auch die loyalsten Offiziere könnten sich irgendwann der Unterdrückung der Bevölkerung widersetzen: etwa dann, wenn die Proteste gegen Präsident Assad auch die alawitische Minderheit erfassen sollten.

All diese Risiken kennt Assad. Möglicherweise kam sein Ruf nach den Offizieren nicht wirklich von Herzen, sondern auf Druck der eigenen Familie. Während der Präsident sich zumindest zeitweise an Reformen versucht und sich erst später einer Modernisierungspolitik ohne politische Zugeständnisse verschrieben hat, setzten sein Bruder Maher und Generalstabschef Schaukat schon immer auf eine harte Linie.

© SZ vom 27.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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