Unruhen in Syrien:Assad lässt Soldaten Kleinstadt stürmen

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Baschar al-Assad macht seine Drohung wahr: Syriens Präsident zieht eine gewaltige Streitmacht um eine aufständische Kleinstadt zusammen - Tausende fliehen über die Grenze in die Türkei. Assads Soldaten werden offenbar von iranischen Milizionären unterstützt. Doch trotz des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte: Die Proteste gegen das Regime gehen im ganzen Land weiter.

Tomas Avenarius

Syriens Präsident Baschar al-Assad macht seine Drohung wahr: Am Freitag begann seine Armee, die aufständische Kleinstadt Dschisr al-Schughur zu stürmen. Der Flüchtlingsstrom über die nahe türkische Grenze schwoll an. Inzwischen sollen fast 3000 Menschen aus der Region in den Auffanglagern auf der anderen Seite angekommen seien. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan, bisher Partner Assads, ließ seiner Kritik freien Lauf: Er kündigte dem Syrer die Unterstützung auf und warf ihm "Barbarei" vor. Assad soll bis zu 30.000 Soldaten mit Panzern und Hubschraubern in der Region um die Stadt zusammengezogen haben.

Syrische Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei: Viele Menschen flüchten vor den Truppen des Assad-Regimes. (Foto: dpa)

Trotz des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte scheinen die landesweiten Proteste weiterzugehen. Auch am Freitag demonstrierten laut Internetberichten der Opposition Zehntausende in Städten wie Aleppo, Deraa, Homs, Latakia und Kamischli. Dabei sollen drei Menschen erschossen worden sein.

Das Staatsfernsehen berichtete, der Großeinsatz solle Dschisr al-Schughur aus der Hand "bewaffneter Banden" befreien, die dort Anfang der Woche 120 Sicherheitskräfte getötet hätten. Augenzeugen hatten erklärt, die Polizisten und Soldaten seien von Regierungstruppen erschossen worden, nachdem sie sich geweigert hätten, wie befohlen auf Zivilisten zu schießen. Flüchtlinge berichteten übereinstimmend am Freitag vom brutalen Vorgehen der Soldaten, die vor allem der 4.Armeedivision angehören sollen. Sie wird von Assads jüngstem Bruder Maher kommandiert. Ein Flüchtling aus der inzwischen fast menschenleeren Stadt Dschisr al-Schughur sagte: "Die Menschen werden nicht dableiben, um sich wie die Lämmer abschlachten zu lassen."

Da Syrien keine ausländischen Reporter ins Land lässt, lassen sich die meisten Berichte kaum überprüfen. Die Regierung erlaubte jetzt aber einer kleinen Gruppe von Journalisten, den Militäreinsatz im Norden zu begleiten - offenbar um die Existenz der angeblichen bewaffneten Banden zu beweisen. Einwohner in Dörfern um die Stadt sagten den von Soldaten begleiteten Journalisten, sie fühlten sich angesichts der Truppenpräsenz sicher, so ein Reporter der Nachrichtenagentur Associated Press. Die 50-jährige Waluda Scheicho und andere Bewohner des Dorfes Foro begrüßten Soldaten mit Lebensmitteln, Wasser und Saft.

Sie sagten, die Soldaten seien auf ihre Bitte gekommen. Das Staats-TV berichtete zudem, dass bewaffnete Gruppen angesichts der anrückenden Soldaten Felder in Brand gesteckt hätten. In Dschisr al-Schughur verbliebene Einwohner sagten dagegen, Soldaten hätten die Ernte vernichtet. Das Internationale Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), forderte Syrien auf, der Organisation Zugang zu Verletzten und Verhafteten zu gewähren. Das Rote Kreuz habe keinen "sinnvollen Zugang" zu den umkämpften Landesteilen, sagte IKRK-Präsident Jakob Kellenberger.

Eine zusätzliche Gefahr für Assad-Regime war der Oppositionsaufruf an die Stämme im Land, sich dem Protest am "Freitag der Stämme" anzuschließen. Die Stämme sind vor allem an der Grenze zum Irak traditionell stark. Die überwiegend sunnitischen Stämme sind seit dem Beginn des Irak-Kriegs 2003 in den grenzüberschreitenden Waffenschmuggel verwickelt. Sie verfügen über Waffen, mit denen sie auch dem Militär gefährlich werden könnten. Zudem haben sie Kontakte zu Militanten im Irak.

Immer zahlreicher wurden Hinweise, dass Assads Soldaten beim Vorgehen gegen die Protestierenden von iranischen Milizionären unterstützt werden. Reporter verschiedener internationaler Medien zitierten Flüchtlinge aus den Auffanglagern an der türkischen Grenze. Sie wollen zwischen den syrischen Soldaten Ausländer erkannt haben, möglicherweise Iraner: "Noch am Vortag hatten wir die Männer angefleht, uns nicht anzugreifen. Aber sie sprachen kein Wort Arabisch", sagte ein Flüchtling. Ein anderer berichtet von Uniformierten mit Bärten zwischen den syrischen Truppen. In Syriens Armee sei das Tragen von Bärten verboten, während es iranischen Sicherheitskräften erlaubt sei.

Der Verdacht, dass Iran Syrien bei der Niederschlagung des Aufstand unterstützt, besteht seit längerem. Damaskus ist Teherans wichtigster Verbündeter. Irans Regime soll Geräte zur Überwachung des Mobilfunks und des Internets sowie Schlagstöcke und Waffen geliefert haben. Westliche Geheimdienstler hatten nicht ausgeschlossen, dass Ausbilder der auf den Auslandseinsatz spezialisierten iranischen Al-Quds-Brigade mit den syrischen Behörden zusammenarbeiten. Ein britischer Diplomat, der dies geäußert hatte, war ins Teheraner Außenministerium einbestellt worden. Als politisch fatal für Assad dürfte sich erweisen, dass der türkische Premier Erdogan ihm offen entgegentritt. Die Türkei spielt im Nahen Osten eine wichtige Rolle. Die unverhohlene Kritik des Türken am Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte dürfte Assad in der islamischen Welt weiter schaden.

© SZ vom 11.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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