Unruhen in Kirgistan:"Es ist wie vor fünf Jahren, nur härter"

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Wie bei der "Tulpenrevolution" geht die Staatsmacht in Kirgistan mit Gewalt gegen Oppositionelle vor. Bis zu 20 Menschen kamen bisher ums Leben.

Sonja Zekri

Die Proteste gleichen sich auf verblüffende Weise, und beim letzten Mal endeten sie mit der Flucht des Präsidenten. Fünf Jahre nach der "Tulpenrevolution" wird die zentralasiatische Republik Kirgistan von Gewalt erschüttert.

Nachrichtenagenturen berichten von bis zu 20 Toten, Rettungskräfte sprachen von über 140 Verletzten. Berichte, nach denen auch der Innenminister getötet worden war, wurden nicht bestätigt.

Wie beim letzten Mal begann der Protest in der Provinz, in Talas im Südwesten, wo wütende Menschen am Dienstag den Sitz des Gouverneurs stürmten und den Amtsinhaber festsetzen. Wie damals griffen die Proteste auf die Hauptstadt über, wo sich am Mittwoch Tausende Menschen vor dem Regierungssitz versammelten.

2005 war der damalige Präsident Askar Akajew nach Moskau geflohen, wo er seinen Rücktritt erklärte. Diesmal forderten die Demonstranten die Absetzung seines Nachfolgers, Kurmanbek Bakijew, aber die Polizei wehrte einen Sturm des Weißen Hauses mit Tränengas ab, nachdem die Menge ins Zentrum vorgerückt war. Dabei fuhren Demonstranten in erbeuteten Polizeiautos und trugen Gewehre und Panzerabwehrwaffen, die sie der Polizei abgenommen hatte.

Während das Internet blockiert ist und das Fernsehen kein Wort über die Ereignisse verlor und offenbar abgeschaltet wurde, sind die Geschäfte der Hauptstadt geschlossen.

Dennoch gab es Plünderungen. Demonstranten sollen ins Parlament eingedrungen sein, die Staatsanwaltschaft in Flammen stehen. Am Mittwoch wurde der Notstand ausgerufen.

Die Opposition, meldet die Agentur Interfax, erwäge Gespräche mit der Regierung, habe aber noch keine Forderungen formuliert. In Naryn, südöstlich der Hauptstadt, wo die Demonstranten wie in Talas das Regierungsgebäude besetzten, sagte der Ex-Generalstaatsanwalt und Oppositionsführer Asimbek Beknasarow der Agentur Interfax, die Proteste zielten nicht auf die Übernahme der Macht in der Region, sondern auf dem Machtwechsel im Land.

"Es ist wie vor fünf Jahren, nur härter", sagt der Politologe Valentin Bogatyrjow der SZ am Telefon aus Bischkek. Könnte Bakijew fallen? "Natürlich."

In Moskau und Washington werden die Ereignisse aufmerksam verflogt. In Kirgistan nämlich unterhält nicht nur Russland einen Militärstützpunkt, sondern auch Amerika, das über den Luftwaffenstützpunkt Manas in der Nähe der Hauptstadt seine Truppen nach Afghanistan bringt. Die russische Presse hatte Bakijew zuletzt scharf angegriffen und ihn gar mit Dschingis Khan verglichen, weil er angeblich seinen Sohn als Nachfolger in Stellung gebracht habe.

In Wahrheit dürfte dies die Reaktion auf Bakijews vermeintliche Illoyalität gegenüber Moskau gehen. Obwohl Moskau einen Milliardenkredit in Aussicht gestellt hatte - was als Belohnung für einen Rauswurf des US-Stützpunktes gesehen wurde - hatte Bakijew den Amerikanern erlaubt, ihren Stützpunkt gegen höhere Pachtgebühren im Land zu lassen. Zudem ventiliert er offenbar einen US-Stützpunkt im Süden, obwohl Moskau dort ein Trainingslager einrichten will.

Es gärt seit langem in der pittoresken, aber armen Republik, deren Wirtschaft zum großen Teil von den Transfer-Zahlungen kirgisischer Gastarbeiter in Russland und Kasachstan abhängt. Schon öfter hat die Opposition versucht, Bakijew aus dem Amt zu treiben. Der einstige Sieger der Tulpenrevolution, so die Kritik, habe die Hoffnungen nicht gerechtfertigt, sondern sei so korrupt und autoritär wie sein Vorgänger.

Diesmal aber hat die Unzufriedenheit wohl ein kritisches Maß erreicht. Den "Kurultai", eine nationale Versammlung, mit der Bakijew Ende März Einheit und Stabilität demonstrieren wollte, boykottierte die Opposition. "Außerdem wurden vor kurzem die Preise für Strom und Gas drastisch erhöht", sagt Politologe Bogatyrjow. Erste Proteste gab es beim Besuch von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vor wenigen Tagen.

Nach Ausbruch der Proteste waren vorübergehend fast alle Oppositionsführer festgenommen worden. Sie warnen, die Proteste könnten außer Kontrolle geraten, weil sie nicht gelenkt werden. "Nichts an diesen Protesten ist spontan", sagt hingegen Bogatyrjow, "genau so, wie es jetzt abläuft, hat die Opposition ihre Strategie immer beschrieben."

© SZ vom 08.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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