Ukrainische Band Okean Elzy:Rocken und kämpfen

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Ukrainische Rockband Okean Elzy bei einem ihrer Auftritte. (Foto: Reactor 691/Wikipedia)

Kiew feiert sie als ukrainische Bon Jovi, Moskau will ihnen am liebsten die Einreise verbieten: Die Rockband Okean Elzy trommelt für die Wende in der Ukraine. Vor ihrer Russlandtour sind jetzt zahlreiche Konzerte abgesagt worden - offiziell aus technischen Gründen.

Von Frank Nienhuysen

Es war in der Kiewer Wohnung von Vitali Klitschko, spätabends. Klitschko war gerade von einer Preisverleihung zurückgekommen, als er zu Hause zum Interview bat und da unerwartet noch jemand anders in der Wohnung saß, ein junger Mann mit Turnschuhen und längeren Haaren. Klitschko sagte: "Das ist der Bon Jovi der Ukraine." Slawa Wakartschuk erwiderte lächelnd, "ich mag Bon Jovi nicht". Musikalisch lag Klitschko bei dem Treffen vor ein paar Jahren vielleicht grob richtig, für die Ukraine aber ist Wakartschuk viel mehr als Bon Jovi, ein Musiker, der die Hallen füllt. Er ist ein singender Botschafter, der die Ukraine zusammenhalten will, der rockt und kämpft für sein Land. So leicht ist das ja gerade nicht.

Schon im Spätherbst stand er auf der Bühne des Maidan und rief: "Wir stehen hier heute für all diejenigen, die Ukrainisch sprechen und für all diejenigen, die Russisch reden, für die Fans von Dynamo Kiew wie auch für die Fans von Schachtjor Donezk, für all jene, die verschiedene Parteien wählen, und für jene, die überhaupt nicht wählen." Für alle Ukrainer also.

Wakartschuk ist Frontmann von Okean Elzy, von Elsas Ozean, der wohl beliebtesten Rockband der Ukraine. An der Nahtstelle von Kunst und Politik erlebt er all die Stimmungen von Revolution und Zerfall, Euphorie und Kriegsangst: die Zuneigung, die Hoffnung der Zuhörer, den Hass der Gegner, die Kaltblütigkeit russischer Behörden. Seine Deutschland-Tour ist am Sonntag zu Ende gegangen, mit viel ukrainischem Pathos und blau-gelben Fahnen im Publikum.

In Berlin hat er auch gesungen, obgleich ihm wohl nicht danach war; das war der Tag, an dem Wladimir Putin den Anschluss der Krim an Russland besiegelte und in Moskau einen nationalen Taumel auslöste. In diesen Tagen zieht Wakartschuk weiter, nach Polen, Litauen, Lettland. Das ist leichtes Terrain, die Balten stehen auf der Seite des ukrainischen Westkurses. Danach aber ist Russland dran.

Mehr als die Hälfte der zehn geplanten Russland-Konzerte von Okean Elzy sind abgesagt. Sie sollten in Sibirien und Fernost stattfinden, in Krasnojarsk, Irkutsk, Wladiwostok, aber auch in St. Petersburg, das Wakartschuk "liebt wie meine zweite Heimatstadt". In Russland hat Okean Elzy viele Anhänger, aber in diesen Zeiten ist alles irgendwie Politik. Und Okean Elzy eine Rockband, die für die Wende in Kiew trommelte, für Europa. "Wir selber haben keines dieser Konzerte abgesagt, es werden uns offiziell immer technische Gründe mitgeteilt", sagt die Managerin der Band, Viktoria Chmenko, "niemand sagt uns etwas Genaues".

"Feind der russischen Gesellschaft"

Die Behörden vielleicht nicht. Doch in Russland gibt es Politiker, die ziemlich deutlich über Okean Elzy und Slawa Wakartschuk sprechen. Zum Beispiel Witalij Milonow, ein Stadtabgeordneter in St. Petersburg, der als Erster das umstrittene Gesetz gegen "Propaganda für Homosexuelle" eingebracht hatte. Milonow beschuldigte Wakartschuk, ein Nationalist und russophob zu sein, sogar ein Einreiseverbot forderte er für den "Feind der russischen Gesellschaft". Die Nationalisten der russischen Liberaldemokratischen Partei pflichteten ihm bei. Bis zur Absage des Konzerts in St. Petersburg hat es dann nicht mehr lange gedauert.

Und was machte Wakartschuk? Er schrieb in seinem Blog Folgendes: "Wen halten Sie für einen Nationalisten? Falls jemanden, dessen Lieblingsschriftsteller Tschechow ist, dann bin ich Nationalist. Falls jemanden, dessen erstes Lieblingslied "Es leuchtet ein unbekannter Stern" (einer polnisch-russlanddeutschen Sängerin) war, auch dann bin ich ein Nationalist. Und falls jemanden, der ein halbes Jahr lang in verschiedenen Ländern der Welt seine Energie für beliebige Zuhörer gibt, ja, dann bin ich ohne Zweifel ein Nationalist."

Wakartschuk hat die Russland-Tournee noch nicht abgeschrieben, "wir wollen wiederkommen", sagt Managerin Chmenko. Als Okean Elzy ihre Tournee begannen, da war die Krim noch ukrainisch, und Wakartschuk und ein paar befreundete russische Musiker dachten darüber nach, gemeinsam Friedenskonzerte auf der Halbinsel zu geben. Doch so schnell wie russische Soldaten dort die Kontrolle übernommen hatten, ließ sich das nicht verwirklichen.

Andererseits ist Slawa Wakartschuk vorsichtig geworden mit jenen in Kiew, die das Land schnurstracks in den Westen führen wollen. Für sie hat er ein Manifest zusammengestellt, ein Zehn-Punkte-Programm, "einen Appell an die ,neue' Regierung". "Geht nicht den Weg Eurer Vorgänger", schreibt er mit Blick auf das gestürzte Regime. "Hört allen genau zu, ohne auch nur eine Region der Ukraine auszulassen, im Osten oder im Westen." Okean Elzy stammt aus dem Westen der Ukraine, für den Juni ist eine Tour in den Osten des Landes geplant. Doch drei Monate, das wissen die Musiker, sind in diesen Tagen eine sehr lange Zeit.

© SZ vom 25.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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