Der Sieg von Wolodymyr Selensky bei der Präsidentschaftswahl in der Ukraine ist vor allem eins: eine klatschende Ohrfeige für den bisherigen Amtsinhaber Petro Poroschenko. Dieser hat sich seine Abwahl redlich verdient. Vor allem bei zwei Problemen - der durchdringenden Korruption und der Dominanz der ukrainischen Wirtschaft, Politik und Medien durch einige wenige Oligarchen - versagte Poroschenko oder hintertrieb entsprechende Reformen gar bewusst. Kein Wunder: Schließlich war Poroschenko selbst ein Oligarch. Davon haben die Ukrainer genug. Alles, nur nicht noch mehr Poroschenko, das war die zentrale Botschaft dieser Wahl.
Doch Wolodymyr Selenskys kometenhafter Aufstieg ist ebenfalls Ausdruck des kranken ukrainischen Systems: Er war nur möglich, weil ukrainische Medien von Oligarchen dominiert werden, die bestimmen, wer in ihre Fernsehsender kommt - und wer nicht. Ex-Verteidigungsminister Anatolij Grizenko zum Beispiel, der ebenfalls Präsidentschaftskandidat war und seit Jahren glaubwürdig für Korruptionsbekämpfung und gegen die Interessen der Oligarchen auftrat, kann ein Lied davon singen: Er kam jahrelang praktisch nicht ins Fernsehen und bekam in einem Land, in dem sich 85 Prozent der Bevölkerung ausschließlich über das Fernsehen informieren, nie eine nationale Bühne. Das Gleiche gilt für echte Reformparteien, die es in der Ukraine immer wieder gibt, über die aber in den Oligarchensendern kaum berichtet wird und die auch deshalb kaum je über den Rang von Kleinparteien hinauskommen.
Ukraine:Poroschenkos Sündenregister
Warum das Staatsoberhaupt nach fünf Jahren Amtszeit auch bei seinen Anhängern in Ungnade gefallen ist - eine Spurensuche zur Stichwahl um das Präsidentenamt.
Für den Fernseh- und Kabarettstar Selensky existierten diese Hindernisse nicht - erst recht nicht, weil der Oligarch Ihor Kolomoisky ihn mit seinem Fernsehsender 1+1, dem beliebtesten der Ukraine, ins Amt hievte. Dass Selenskys Ruhm, sein Schlüpfen in die Rolle eines guten, unbestechlichen Präsidenten ausreichten, um ihn trotz eines inhaltsfreien Wahlkampfes ins Präsidentenamt zu bringen, lag vor allem an der Abneigung der Ukrainer gegen Poroschenko: Auch andere Kandidaten hätten gegen den bisherigen Präsidenten gewonnen.
Eine zentrale Frage ist nun, wie groß der Einfluß Kolomoiskys sein wird, einem der umstrittensten Oligarchen der Ukraine. Eine andere, was der Komiker mit dem Präsidentenamt anfangen will und wird. Die westlichen Partner der Ukraine können beruhigt sein: Am unnachgiebigen Kurs gegenüber dem Aggressor Russland dürfte sich wenig ändern: Selensky ist zwar russischsprachig und von russischer Kultur geprägt, trat aber seit Beginn des Krieges 2014 wiederholt scharf gegen den Kreml und seinen Krieg in der Ostukraine auf.
Auch im Verhältnis zu EU und Nato wird sich wenig ändern; zudem ist die Ukraine von den dort geforderten Standards in Politik, Gesellschaft und Armee so weit entfernt, dass die Frage der Aufnahme in EU oder Nato in der fünfjährigen Präsidentschaft Selensky ohnehin keine praktische Rolle spielen wird.
Was Selensky genau vorhat, ist unklar
Die Ukrainer wird mehr interessieren, was Selensky im eigenen Land anfängt. Der Präsident hat sich im Wahlkampf mit den Namen einiger angesehener Reformer wie dem ehemaligen Finanzminister Olexander Daniljuk geschmückt. Ob Daniljuk und andere tatsächlich einflußreiche Ämter bekommen, ob sie Ideen für radikale Reformen etwa bei der Korruptionsbekämpfung auch umsetzen können, ist offen.
Substantielle Projekte für echte Reformen fehlen bisher. Selenskys Berater betonen, es gebe längst detailliierte Blaupausen - gesehen hat sie indes niemand. Bisher spielten nur einfache Botschaften eine Rolle: Nicht zufällig betonte Selensky im Wahlkampf immer wieder, als eines der ersten Gesetze werde er im Parlament ein Gesetz einbringen, das die Amtsenthebung des Präsidenten regelt.
Den Kontakt zu den Wählern will der kommende Präsident wie bisher mit Videobotschaften per Facebook pflegen; Personalentscheidungen sollen auch nach dem angeblichen Mehrheitswillen des Volkes getroffen oder Parlamentarier auch vor Ablauf ihres Mandates durch Volksabstimmungen vorzeitig aus dem Amt gefeuert werden, wenn sie ihre Versprechen nicht erfüllen. All dies soll den Eindruck eines volksnahen Politikers erwecken, ist indes im besten Fall inhaltsleer, im schlechteren gefährlich populistisch, weil unpopuläre Entscheidungen quasi schon im Vorgriff ausgeschlossen werden.
Was Selensky darüber hinaus will, ist unklar. Erst recht, weil das Parlament weiterhin vom Poroschenko-Lager dominiert wird. Selbst nach einer Neuwahl - gleich ob vorgezogen schon im Juni oder Juli oder regulär Ende Oktober - und dem Einzug der Selensky-Partei "Diener des Volkes" wird das Parlament ein bunter Flickenteppich vieler Parteien bleiben, von denen etliche durch die sie finanzierenden Oligarchen bestimmt werden - oder die ihre Stimmen weiterhin an dem Meistbietenden verkaufen. Die Ukraine ist mit Petro Poroschenko als Präsident mehr schlecht als recht gefahren. Ob sie mit Wolodymyr Selensky als Präsident besser fährt, werden erst die kommenden Jahre zeigen.