Krieg in der Ukraine:"Luftalarm, zwei Gruppen von Mopeds"

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Eine Drohne fliegt über Kiew, bereit zum Angriff. Die Aufnahme entstand bereits im Oktober. (Foto: Yasuyoshi Chiba/AFP)

Russland schickt zum Jahreswechsel Schwärme von Kamikaze-Drohnen in ukrainische Städte. Die Auswirkungen sind gering. Offenbar hat sich die Flugabwehr gut auf die Zweitakter der Lüfte eingestellt.

Von Sebastian Gierke

Für viele Menschen in der Ukraine begann das Jahr 2023 mit einem schrecklichen Surren. In der Neujahrsnacht klang es wie so oft in den vergangenen Wochen: Das russische Militär schickte eine Welle iranischer Kamikaze-Drohnen auf ihre Flugbahn. Die Maschinen machten sich auf unter anderem in Richtung der Hauptstadt Kiew und der ostukrainischen Großstadt Charkiw. Auch bei Mykolajiw in der südlichen Ukraine wurden Shahed-Drohnen gesichtet. "Luftalarm, zwei Gruppen von Mopeds", schrieb der regionale Militärverwaltungschef Vitali Kim auf Telegram.

Der Zweitaktmotor der Drohnen, die Russland in Schwärmen in Richtung der ukrainischen Städte schickt, erinnert an ein kleines Motorfahrrad. In der ukrainischen Bevölkerung werden die Drohnen deshalb Mopeds genannt. Sich lustig machen über den Schrecken - auch das ist ein Mittel, mit dem die Ukrainer die Angst in den Griff bekommen wollen.

Mit Sprengladungen versehen sollen sich die unbemannten Flugroboter eigentlich auf ihre Ziele hinabstürzen. Doch so weit sind sie diesmal wohl gar nicht gekommen. Nach Angaben aus Kiew wurden alle Drohnen, insgesamt 43 Stück, und eine Rakete von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossen. Allein in Kiew wurden den Angaben zufolge 22 Drohnen getroffen. Die Ukraine hat sich auf die Angriffe mit diesen vergleichsweise langsamen Flugobjekten eingestellt, die Luftabwehr wird auch von größeren Schwärmen kaum mehr überfordert. Vor allem die 30 aus Deutschland gelieferten Flugabwehrkanonenpanzer Gepard erweisen sich hier als nützlich.

Die Schäden halten sich in Grenzen

Die fünfte Angriffsnacht in Folge hinterließ dennoch ihre Spuren in Kiew. Bürgermeister Vitali Klitschko teilte am Montagmorgen mit, dass Energie-Infrastruktur bei den Angriffen beschädigt worden sei. In der Stadt sei der Strom teilweise ausgefallen, was sich auch auf die Wärmeversorgung auswirke, sagte er. Die Wasserversorgung laufe aber normal. Klitschko teilte auch mit, dass nach einer Explosion in einem Stadtviertel ein 19-Jähriger verletzt im Krankenhaus behandelt werden musste. Dort war ein Haus bei einem russischen Angriff getroffen worden.

Auch Russland meldet immer wieder Drohnenangriffe von ukrainischer Seite. Im grenznahen russischen Gebiet Brjansk wurde nach Angaben von Gouverneur Alexander Bogomas am Montag Energie-Infrastruktur getroffen. In einem Ort sei dadurch der Strom ausgefallen. Es habe keine Verletzten gegeben, sagte Bogomas.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij nahm die russischen Drohnenattacken in der Neujahrsnacht zum Anlass, den Zusammenhalt im Land zu beschwören. "Die russischen Terroristen waren bereits erbärmlich und sind auch so ins neue Jahr gestartet", sagte Selenskij. Doch diese Angriffe könnten den Ukrainern nichts anhaben. "Unser Zusammengehörigkeitsgefühl, unsere Authentizität, das Leben selbst - all das steht so sehr im Kontrast zu der Angst, die in Russland vorherrscht." Unterstützung erhielt er von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ihm telefonisch weitere Unterstützung zusicherte und eine bevorstehende Reise nach Kiew andeutete.

Das russische Militär habe spürbar Angst, behauptete Selenskij. "Und sie haben zu Recht Angst, denn sie werden verlieren." Selbst mit Drohnen und Raketen kämen die russischen Militärs nicht weit. "Weil wir zusammenhalten." Die russische Seite dagegen werde nur von Angst zusammengehalten, argumentierte er.

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Die russischen Angriffe auf die ukrainische Energie-Infrastruktur mit Marschflugkörpern, Raketen und Drohnen verursachen seit Monaten immer wieder massive Ausfälle in der Wasser- und Stromversorgung. Im Moment gelingt es den Landesverteidigern aber, die Schäden durch die Luftangriffe vergleichsweise gering zu halten und die gravierendsten schnell zu beheben. Auch das Wetter spielt eine nicht unwichtige Rolle. In der Ukraine herrschen für die Jahreszeit sehr milde Temperaturen.

Und an der Front bewegt sich für die russischen Invasoren kaum etwas. Im Gegenteil: Laut ukrainischen Angaben sind die russischen Verluste im Moment so hoch wie seit Wochen nicht mehr. Von über 4500 Toten ist die Rede, diese Angaben sind jedoch nicht unabhängig zu überprüfen und mit hoher Wahrscheinlichkeit übertrieben. Klar ist aber, dass die seit dem Sommer praktizierte Taktik der Ukraine, mit weitreichenden Waffensystemen hinter den feindlichen Linien Logistikzentren und Unterkünfte von Soldaten zu zerstören, immer noch große Erfolge zeitigt.

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