Ukrainische Geflüchtete in Deutschland:Das Hilfssystem gerät ins Stocken

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Swetlana aus Kiew hatte noch Glück, sie wurde in der ehemaligen Frauenklinik in Jena aufgenommen, die als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird. (Foto: Martin Schutt/picture alliance/dpa)

Immer mehr einzelne Kommunen, Landkreise oder auch ganze Bundesländer verhängen einen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus der Ukraine. Das trifft selbst Familien, die eigentlich eine Unterkunft gefunden haben.

Von Nina von Hardenberg, München

Eigentlich hätten die Ukrainerinnen schon im Juni bei ihr einziehen sollen: Zwei Frauen aus Charkiw wurden ihr vermittelt. Seither sei sie in Kontakt mit ihnen, schreibt die Frau aus Bielefeld der Organisation "Unterkunft Ukraine". Doch aus dem Plan wurde nichts. Der Grund: Die Stadt habe einen Aufnahmestopp verhängt. Die Gäste würden dort also "keinerlei Unterstützungszahlungen bekommen".

Rückmeldungen wie diese erhält die Plattform "Unterkunft Ukraine" derzeit aus vielen Ecken Deutschlands. In Brandenburg seien mehrere Landkreise dicht, heißt es in einer Mail, die der SZ vorliegt. In einer anderen steht, eine Familie aus Odessa sei sicher in Sachsen angekommen. "Sie haben bei mir eine eigene Wohnung und beste Voraussetzungen" - einziehen aber könne die Familie nun trotzdem nicht. Denn Sachsen habe "die Höchstzahl der Personen, die Sozialhilfe erhalten können, ausgeschöpft". So habe es die Ausländerbehörde mitgeteilt.

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Ein sicheres Bett bei privaten Gastgebern, aber kein Recht zu bleiben? Das erleben Geflüchtete aus der Ukraine inzwischen immer öfter. Und es erschwert den NGOs, die sie in Privatunterkünfte vermitteln, die Arbeit. "Wir wissen nicht mehr, welche Kommunen überhaupt noch aufnehmen", sagt eine Sprecherin von "Unterkunft Ukraine". Zwar dürfen sich Ukrainer mit ihrem Visum zunächst frei in Deutschland bewegen und wohnen, wo sie wollen. Sozialhilfe aber erhalten sie längst nicht mehr überall. Immer mehr Orte erklären, dass sich bei ihnen vorerst keine weiteren Geflüchteten registrieren lassen dürfen. Das gilt für ganze Bundesländer wie Bayern oder Sachsen, wo in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn besonders viele Geflüchtete landeten und die diese inzwischen innerhalb von Deutschland weiterschicken. Es gilt aber auch für einzelne Kommunen.

Man sei bei 115 Prozent des vorgegebenen Anteils, heißt es aus Bielefeld

So gehört etwa Nordrhein-Westfalen zu jenen Bundesländern, die gemäß des innerdeutschen Flüchtlings-Verteilsystems derzeit Ukrainer aufnehmen - nicht aber in Bielefeld. Schon seit Anfang Juni beherberge man dort mehr als 3700 Menschen aus der Ukraine, berichtet die Stadt auf Anfrage. Man sei damit bei 115 Prozent des vorgegebenen Anteils, also über Soll. Neu ankommende Geflüchtete würden deshalb in der Regel an die Gemeinschaftseinrichtung des Landes NRW in Bochum verwiesen. "Ob es sinnvoll ist, ukrainische Geflüchtete privat aufzunehmen, hängt von den Aufnahmekapazitäten vor Ort ab", heißt es auch aus dem Integrationsministerium in NRW. Bevor man ein Zimmer freiräumt, sollte man im Sozialamt nachfragen.

Eine frustrierende Nachricht, nicht nur für die Frau aus Bielefeld, die ihr Heim für Menschen in Not öffnen will. Insgesamt gerät damit ein wichtiges Hilfssystem ins Stocken: Bei keiner anderen Fluchtbewegung haben derart viele Deutsche Geflüchtete bei sich aufgenommen. Wer privat unterkommt, erhält über die Gastgeber vielfach auch Hilfe bei Behördengängen oder Kontakt zur Schule. Dass die inzwischen bald eine Million registrierten Geflüchteten aus der Ukraine relativ problemlos in den deutschen Alltag rutschen, dürfte auch an der Masse an ehrenamtlichen Integrationshelfern liegen.

Weiterhin böten viele Menschen Betten an, zum Teil auch für längere Zeiträume, berichtet "Unterkunft Ukraine", die bislang 40 000 Mal einzelnen Geflüchteten oder ganzen Familien ein kostenloses Zimmer oder Bett vorschlagen konnte. Die Vermittler aber kämpfen zunehmend mit der Bürokratie. So sind Kriegsgeflüchtete, sobald sie Sozialhilfe beziehen, an ihren neuen Wohnort gebunden. Wer zunächst in Berlin untergekommen ist, kann also nicht in ein freies Bett in Brandenburg umziehen. Man würde sich da mehr Flexibilität wünschen, heißt es von den Vermittlern.

Die Tante zähle schon nicht mehr als Familie, beklagen Geflüchtete in Bayern

Die Bundesländer, Landkreise oder Kommunen, die einen Aufnahmestopp verkündeten, sehen dagegen vor allem die Probleme vor Ort. Es gelte, die öffentliche Infrastruktur, also "Schulen, Kindergärten, medizinische Einrichtungen und Behörden vor einer Überlastung zu schützen", erklärt ein Sprecher der Landesdirektion Sachsen. Der Freistaat hat auf Grund seiner geografischen Nähe zu Polen mindestens 4600 Flüchtlinge aus der Ukraine mehr aufgenommen, als er laut bundesweitem Verteilschlüssel bislang hätte aufnehmen müssen. Kommen darf derzeit nur noch, wer schon Eltern, Kinder oder Geschwister in Sachsen hat oder für wen sich eine einzelne Kommune aus anderen Gründen einsetzt.

So ist es vielerorts. Die Tante zähle schon nicht mehr als Familie und muss in ein anderes Bundesland ziehen, beklagen Geflüchtete in Bayern. In Berlin brauchte man zuletzt eine eigene Unterkunft, einen Job oder Angehörige in der Stadt, um bleiben zu dürfen. Viele an Berlin angrenzende Landkreise in Brandenburg haben sich ebenfalls weitgehend für einen Aufnahmestopp entschieden - und werden darin selbst von Helferkreisen unterstützt.

So schlimm sie die Entscheidung anfangs fand, sie trage sie mit, sagt eine Helferin vom Verein "Beelitz hilft", der Ukraineflüchtlinge in der Region Beelitz eng betreut. Die Menschen sollen ja auch leben und ankommen können. Der Landkreis Potsdam-Mittelmark stoße da an seine Grenzen: Es fehlten Kita- und Schulplätzen und auch Jobs. Am schlimmsten aber sei die Wohnsituation. Der Verein sucht verzweifelt nach Unterkünften für Geflüchtete, die zunächst privat untergekommen sind. Es gibt schlicht keine. Manch ein Gastgeber stehe nun vor der Wahl, die Geflüchteten weiterhin selbst unterzubringen oder sie auf Straße zu setzen.

Der Aufnahmestopp verschafft Ländern und Kommunen allerdings vermutlich nur vorübergehend Luft. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben sich die Kriegsflüchtlinge inzwischen relativ gerecht auf alle Bundesländer verteilt. Wenn der Krieg andauert und mehr Menschen kommen, müssen ohnehin wieder alle Bundesländer weitere Geflüchtete aufnehmen.

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