Krieg in der Ukraine:"Es ist zu spät"

Lesezeit: 2 min

"Es gibt kein Fegefeuer für Kriegsverbrecher. Diese wandern direkt in die Hölle", sagte der ukrainische UN-Botschafter Sergiy Kyslytsya bei einer Sondersitzung des Sicherheitsrats. (Foto: Jason Szenes/epa)

Noch während die Sitzung des UN-Sicherheitsrats lief, gab der russische Präsident Wladimir Putin den Befehl zum Angriff auf die Ukraine.

Von Christian Zaschke, New York

Mehr als zwei Stunden hatte die Sondersitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in New York am späten Mittwochabend bereits gedauert, als der ukrainische UN-Botschafter Sergiy Kyslytsya für den dramatischen Höhepunkt sorgte. An seinen russischen Kollegen Wassili Nebensja gewandt sagte er: "Es gibt kein Fegefeuer für Kriegsverbrecher. Diese wandern direkt in die Hölle."

Wie eine Verheißung klang das, wie ein Fluch und wie ein Flehen. Nebensja schwieg zunächst. War er bewegt? Er ließ einige Sekunden verstreichen. Dann sagte er: "Wir sind nicht dem ukrainischen Volk gegenüber aggressiv, sondern gegenüber der Junta, die in Kiew an der Macht ist." Ungerührt wie immer.

SZ PlusSanktionen gegen Russland
:Mit den Waffen der Wirtschaft

Die EU beantwortet Putins Angriff mit dem härtesten Sanktionspaket, das sie je beschlossen hat. Vor der drastischsten Maßnahme schreckt Brüssel aber noch zurück.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Björn Finke, Brüssel

Das Treffen des wichtigsten Gremiums der UN war außerplanmäßig einberufen worden, um in buchstäblich letzter Minute einen Krieg in der Ukraine zu verhindern. UN-Generalsekretär António Guterres, so gut wie immer ein Mann des moderaten Tons, fand ausnahmsweise deutliche Worte. "Ich habe nur dies zu sagen, vom Grunde meines Herzens", sagte er: "Präsident Putin, stoppen Sie Ihre Truppen. Geben Sie dem Frieden eine Chance. Es sind bereits zu viele Menschen gestorben."

Doch noch während die Sitzung lief, hatte der russische Präsident Wladimir Putin den Angriff beginnen lassen. "Es ist zu spät, meine lieben Kolleginnen und Kollegen", rief der sichtlich bewegte ukrainische Botschafter Kyslytsya, "ich fordere sie alle dazu auf, alles zu tun, um diesen Krieg zu stoppen." Zu Nebensja sagte er, dass dieser doch ein Smartphone dabei habe. Er könne in Russland anrufen. Es war ein ungewöhnlicher Moment in einer ungewöhnlichen Sitzung. Nebensja sagte lediglich, er habe bereits alles gesagt, was er wisse. Überdies habe er nicht die Absicht, seinen Außenminister zu wecken.

Am Anfang der Sitzung hatte noch die Hoffnung auf eine Deeskalation bestanden

Es ist eine besondere Wendung der Geschichte, dass Russland ausgerechnet jetzt turnusgemäß den Vorsitz im Sicherheitsrat innehat. Nebensja fungierte daher sowohl als Leiter der Debatte wie auch als Sprecher seines Landes. In letztgenannter Funktion wiederholte er die russische Lesart, wonach es sich keinesfalls um einen Angriff oder gar Krieg handele, sondern um eine "spezielle militärische Operation". Es gehe darum, "Frauen, ältere Menschen und Kinder" im Osten der Ukraine zu schützen, die seit Jahren unter einem stetigen Bombardement durch die ukrainische Regierung litten. Man schütze die Menschen "vor einem Völkermord", führte Nebensja aus.

Zu Beginn der Sitzung hatte tatsächlich noch die Hoffnung bestanden, eine Eskalation verhindern zu können. Das zeigten die teils langen Reden, die jedoch überholt waren, noch während sie gehalten wurden. "Exakt zu der Zeit, zu der wir uns hier getroffen haben, hat Putin seine Botschaft des Krieges gesandt", sagte die US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield. Sie sprach von einem "schwerwiegenden Notfall".

Im Laufe des Tages war bereits die Vollversammlung der UN zusammengetreten. Fast 70 der 193 Mitgliedsländer äußerten sich, es war ein deutliches Zeichen dafür, dass die Mehrheit der Welt das russische Vorgehen verurteilt. Eine Resolution wurde jedoch nicht verabschiedet. Anfang der kommenden Woche soll in der großen Runde weiter debattiert werden.

Im Sicherheitsrat war geplant, eine Resolution einzubringen. Ein entsprechender Text kursierte am späteren Mittwoch unter einigen Ländern. Diese Resolution wird jedoch nie verabschiedet werden, weil Russland nicht nur aktuell den Vorsitz des Rates innehat, sondern auch über ein permanentes Vetorecht verfügt. Es wird also ein rein symbolischer Vorstoß bleiben.

UN-Generalsekretär Guterres wandte sich am Rande der Sitzung erneut an Putin, nachdem er erfahren hatte, dass sein Aufruf, dem Frieden eine Chance zu geben, vergebens war. "Präsident Putin", sagte er, "im Namen der Menschlichkeit, bringen Sie Ihre Truppen zurück nach Russland. Im Namen der Menschlichkeit, erlauben Sie nicht, dass in Europa der schlimmste Krieg seit Anbeginn des Jahrhunderts ausbricht."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAngriff auf die Ukraine
:Was über das militärische Vorgehen Russlands bekannt ist

Die ersten Angriffe gelten Flugplätzen und Militäreinrichtungen in der Ukraine. Der Vormarsch russischer Bodentruppen zielt offenbar auch darauf, die Hauptstadt Kiew einzukreisen. Ein Überblick.

Von Paul-Anton Krüger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: