Ukraine-Konferenz in Berlin:Partnersuche für die Generationenaufgabe

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Bis zu 750 Milliarden Dollar könnte es kosten, die Ukraine wiederaufzubauen: Zerstörungen in Charkiw. (Foto: Carl Court/Getty)

Noch dauert die Zerstörung an, aber irgendwann muss die Ukraine wiederaufgebaut werden. Dem Bundeskanzler und der EU-Kommissionspräsidentin schwebt eine Art neuer Marshallplan vor.

Von Daniel Brössler, Berlin

Die Latte hängt hoch. Es gehe "um nicht weniger, als einen neuen Marshallplan des 21. Jahrhunderts zu schaffen", haben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Parole ausgegeben für eine Ukraine-Konferenz, zu der sie für diesen Dienstag gemeinsam nach Berlin geladen haben. In einem Tagungszentrum am Westhafen sollen internationale Expertinnen und Experten mit Vertretern aus den G-7-Staaten, der Europäischen Union und der Ukraine über den Wiederaufbau des Landes beraten, das immer noch Tag für Tag von russischen Bomben und Raketen weiter zerstört wird.

Es handele sich um eine "Generationenaufgabe", setzte Scholz am Montag bei einer deutsch-ukrainischen Wirtschaftskonferenz in Berlin den Ton. "Kein Land, kein Geber, keine internationale Institution", betonte er, "kann das alleine stemmen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt gemeinsam die Weichen stellen, damit der Wiederaufbau gelingt". Die Analogie zum Marshall-Plan 1947 soll also vor allem die Dimension veranschaulichen. Damals ging es den USA um den Wiederaufbau eines ganzen Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg. Für den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Ukraine kursieren diverse Schätzungen. Die höchste stammt direkt aus Kiew und beträgt 750 Milliarden US-Dollar.

Wie kann ein solches Projekt über Jahrzehnte finanziert werden?

So gesehen hängt die Latte für die Berliner Tagung auch wieder niedrig. Anders als bei einer Konferenz im schweizerischen Lugano Anfang Juli geht es gar nicht um konkrete Zahlen und Zahlungen. "Die Internationale Expertenkonferenz ist kein Beschlussgremium; es werden keine politischen Vereinbarungen getroffen", hat die Bundesregierung schon mal vorab klargestellt. Der "zusammengetragene Sachverstand" werde vielmehr dazu beitragen, "den Prozess des Wiederaufbaus der Ukraine weiter zu gestalten". Die Empfehlungen würden dann zu einem "geeigneten Zeitpunkt den einschlägigen politischen Gremien vorgelegt".

"Kein Land, kein Geber, keine internationale Institution kann das alleine stemmen": Olaf Scholz bei der deutsch-ukrainischen Wirtschaftskonferenz. (Foto: Michael Kappeler/AFP)

Für dieses Vorgehen hatte sich Scholz im Sommer beim Gipfel in Elmau der Unterstützung der G-7-Staaten versichert, die sich davon vermutlich auch versprochen hatten, ein wenig Zeit zu gewinnen. Es sei "wichtig, dass wir jetzt nicht nur ganz konkret feststellen, was alles gemacht werden muss, wo überall investiert werden muss, wie man den Wiederaufbau organisieren kann, sondern dass wir auch darüber nachdenken, wie über viele, viele Jahre, ja, Jahrzehnte ein solcher Wiederaufbau auch finanziert werden kann von der Weltgemeinschaft", erklärte Scholz am Wochenende in seinem Podcast. "Je koordinierter, transparenter das geschieht, desto größer wird die internationale Bereitschaft sein zu helfen", konkretisierte er das am Montag ein wenig.

Was kostet ein "Iris-T"-System im Vergleich zu einem Kraftwerk?

Die Frage, die der Kanzler da umkreist, ist letztlich die, woher das Geld kommt, und wer überwacht, was damit passiert. In einer zentralen Rolle sieht sich dabei die EU, weshalb Scholz die Berliner Konferenz ja auch gemeinsam mit von der Leyen ausrichtet. Ungeklärt ist allerdings, ob deshalb auch alle Fäden in Brüssel zusammenlaufen sollten. Experten des German Marshall Fund (GMF), die ein Papier dazu erarbeitet haben, warnen davor und schlagen für die Führung die G7 vor, den Club der stärksten demokratischen Industrienationen. Oberster Koordinator solle ein "Amerikaner mit globalem Standing" sein. Nur die USA seien schließlich "in der Lage, die erforderliche globale Koalition zusammenzubringen und einen Konsens unter den Partnern der Ukraine herzustellen".

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Aus europäischer Sicht könnte für so ein Vorgehen der Wunsch sprechen, auch möglichst viele Geber von außerhalb der EU zu gewinnen. Das gilt umso mehr, als der Konflikt, ob der Ukraine nun eher mit direkten Zuschüssen oder doch eher mit Krediten geholfen werden sollte, noch nicht ausgestanden ist. Erschwert werden alle Zukunftspläne außerdem von der grimmigen Gegenwart, in der Russland auf Terror gegen die Bevölkerung setzt, indem es gezielt Einrichtungen der Strom- und Wärmeversorgung zerstört. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich die Wiederaufbauhilfe von der militärischen deshalb kaum trennen. "Was sind die Kosten eines Iris-T-Flugabwehrsystems verglichen mit denen eines Kraftwerks?", fragt etwa GMF-Experte Jacob Kirgegaard.

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal bedankte sich am Montag entsprechend überschwänglich beim Kanzler für die Lieferung des ersten von vier dieser Systeme. Es erweise sich als "unglaublich effektiv". Trotz der Fortschritte bei der Luftverteidigung bleibt es allerdings bei enormen Zerstörungen. Für Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) ist daher ungeachtet aller Zukunftsvorbereitungen klar: "Die akute Winterhilfe hat absoluten Vorrang."

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