Ukraine:Entrücktes Kiew, kriegerischer Osten

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Fast schon ein normaler Ort: der Unabhängigkeitsplatz in Kiew, kurz Maidan. Bürgermeister Vitali Klitschko hat Zelte und Bühne abbauen lassen. (Foto: Imago Stock&People)

Bürgermeister Klitschko hat den Maidan herausputzen lassen, in der Stadt ist der Alltag wieder eingekehrt. Doch das täuscht nicht über die blutigen Konflikte im Osten der Ukraine hinweg. Fast täglich verkündet die Regierung in Kiew neue Horrornachrichten.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Alles sauber, alles adrett. Der Geist des Maidan ist nicht mehr zu sehen, zu riechen oder zu spüren im Kiewer Stadtzentrum, seit das neue Stadtoberhaupt, Vitali Klitschko, das Symbol der ukrainischen Revolution hat schleifen lassen. Genug sei genug, hatte er gesagt, der Euromaidan habe sich leider verkehrt in sein Gegenteil, aus einer solidarischen, friedlichen Bewegung sei ein Hort der Kriminalität geworden, auf dem gestohlen, gerauft und gesoffen werde. Im Osten sei Krieg, so Klitschko, das Land müsse neu aufgebaut werden, da könnten nicht einige wenige das Zentrum des Landes "privatisieren".

Nun, immerhin das hat geklappt in der neuen, der nachrevolutionären Ukraine, die vom Krieg im Osten weitgehend politisch paralysiert ist: Der Verkehr fließt ungehindert wie eh und je über den Unabhängigkeitsplatz und entlang der sechsspurigen Straße, die ihn quert, und die bis vor wenigen Tagen blockiert war von Zelten und Demonstranten, Hütten und Schildern, Kanonenöfen und Tagelöhnern. Bis auf wenige Quadratmeter ist alles neu gepflastert, und nur ein paar Soldaten, die in Uniformen über den Platz schlendern, ein paar Militärhubschrauber, die das Stadtzentrum mit Gedröhn in niedriger Höhe überfliegen, stören das Bild der sommerträgen Stadt. Krieg? Welcher Krieg?

Vom Krieg spricht einige Meter weiter Andrij Lyssenko, der, wie jeden Tag, über Erfolge der Armee und Anschläge der Separatisten berichtet. Im Hotel Ukraina, wo seit Monaten ein Medienzentrum im Namen der Regierung betrieben wird, tragen Helfer immer eine portable Stellwand herein, wenn Lyssenko den Raum betritt: "Informations- und Analyse-Zentrum des nationalen Sicherheitsratsrates der Ukraine" steht darauf; die Armee übernimmt damit, sozusagen, für eine halbe Stunde am Tag die zivile Einrichtung. Nach den Frontberichten wird die Stellwand weggeräumt.

Die Terroristen sollen Flüchtlinge beschossen haben

Aber im Gegensatz zur Dekoration sind die Botschaften von Lyssenko an diesem Tag für die Ukrainer schwer zu ertragen: Die Terroristen hätten ein "blutiges Verbrechen" begangen und einen Transport von Flüchtlingen beschossen, die sich aus der umkämpften Großstadt Lugansk absetzen wollten, sagt der Armee-Sprecher. Frauen und Kinder seien dabei umgekommen. Bei Snischne seien Russen aus dem Kaukasus und gepanzerte Fahrzeuge gesichtet worden; Lyssenko lässt Filmaufnahmen einspielen, in denen die Männer "Allah ist groß" und "Der Krieg geht weiter" rufen.

Ihr Panzer sei ein modifiziertes russisches Modell mit einer Kanone, über die nur die russische Armee verfüge. Russische Söldner aus Jekaterinburg seien an der russisch-ukrainischen Grenze aufgefahren. Die Ukraine sei von russischem Gebiet erneut beschossen worden. Russische Militärfahrzeuge hätten erneut die Grenze überschritten. Und Terroristen hätten auf ukrainische Soldaten mit einem Raketenwerfersystem vom Typ Uragan geschossen, das noch brutaler und effektiver sei als die Grads, die ansonsten von den Separatisten benutzt würden.

Die Armee hüllt sich lieber in Schweigen

Keine guten Nachrichten also, und sollte es doch Positives von Seiten der ATO, der "Anti-Terror-Operation" geben, dann hüllt sich die Armee lieber in Schweigen. Beweise für die Behauptung, man habe vor drei Tagen einen russischen Militärkonvoi auf ukrainischem Gebiet vernichtet, von dem Moskau behauptet, es habe diesen Konvoi ohnehin nie gegeben? Kein Kommentar. Belege dafür, dass ukrainische Soldaten bis ins Zentrum von Lugansk vorgerückt sind und auf einem Polizeigebäude wieder die ukrainische Flagge gehisst haben?

Keine Details über das militärische Vorgehen. Informationen darüber, dass drei ukrainische Offiziere, die zu Verhandlungen mit lokalen Separatisten, zum sogenannten Parler, losgeschickt worden waren, von diesen gekidnappt wurden, wie Medien berichten? Zum Schutz der Männer: kein Kommentar.

Aus Moskau kommen, wie üblich, Dementis

Ach ja, und der leidige russische Hilfskonvoi, der immer noch an der Grenze steht? Aufgrund fehlender Sicherheitsgarantien für die Weiterfahrt nach Lugansk tue sich da nichts, heißt es in Kiew - auch wenn die Ukraine die Einreise genehmigt hat und alles weitere dem Internationalen Roten Kreuz überlassen will. Aber wer wollte diese Garantien geben? Die Kämpfe in der Region um Lugansk und entlang der Route, welche die Konvois nehmen würden, sollen zuletzt noch zugenommen haben, heißt es aus Diplomatenkreisen.

Aus Moskau kommen, wie üblich, Dementis zu den ukrainischen Vorwürfen. Nie und nimmer hätten prorussische Aufständische einen Flüchtlingstreck aus dem Gebiet Lugansk mit Raketen und Granaten attackiert, sagt Separatistensprecher Konstantin Knyrik der Agentur Interfax. Und Außenminister Sergej Lawrow warnte den Westen davor, der Ukraine Waffen zu schicken. Schließlich schicke ja Moskau den Separatisten auch keine. Nie und nimmer.

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