Tunesien:Wahlkrimi mit offenem Ausgang

Tunesien: Mangel an Kandidaten gibt es nicht. Passanten gehen in Tunis an Wahlplakaten vorbei.

Mangel an Kandidaten gibt es nicht. Passanten gehen in Tunis an Wahlplakaten vorbei.

(Foto: Fethi Belaid/AFP)

15 000 Kandidaten für 217 Sitze: Im Mutterland des "Arabischen Frühlings" werden ein neues Parlament und ein Präsident bestimmt. Bislang regiert die Unübersichtlichkeit.

Von Moritz Baumstieger

Ein Kandidat hinter Gittern, Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geldwäsche. Dubiose Geldflüsse an Lobbyisten, Verträge, unterschrieben von einem mysteriösen Mr. X: Der Begriff "Wahlkrimi" bekommt im tunesischen Superwahljahr 2019 eine ganz neue, ganz wörtliche Bedeutung. Am Sonntag soll im Mutterland des sogenannten Arabischen Frühlings ein neues Parlament gewählt werden, eine Woche später in einer Stichwahl ein neuer Präsident. Die Schlagzeilen beherrschen in diesen Tagen jedoch inhaltliche Fragen, in Tunis wird ein Polit-Thriller geschrieben, in dem jeder neue Akt noch ein wenig schräger ist als der zuvor.

Die Parlamentswahlen wirken zunächst eher nicht stringent auf Spannung getrimmt. Zu verwirrend ist die Vorgeschichte, zu zerfasert das Feld der handelnden Figuren: Um die 217 Sitze bewerben sich über 15 000 Kandidaten, die für 1500 Parteien und unabhängige Listen antreten - in einem Land mit etwas mehr als elf Millionen Einwohnern. In Tunis scherzen manche, die hohe Zahl der Bewerber liege darin begründet, dass selbst ein Job als Abgeordneter in der chaotischen Politik Tunesiens noch krisensicherer sei als jede Position in der schwächelnden Wirtschaft. In Wahrheit dürfte eher die Frustration der Tunesier über die bisher im Parlament vertretenen Parteien eine Rolle spielen - und einige Aspekte des Wahlrechts.

Die vergangene Amtsperiode des Parlaments war gekennzeichnet von häufigen Fraktionswechseln einzelner Abgeordneter, Zusammenschlüssen und, noch häufiger, Spaltungen existierender Parteien. Oft waren weniger inhaltliche Positionen Auslöser für politisches Stühlerücken, meist ging es eher um Posten und Persönliches. Den einzig stabilen Machtblock stellte die moderat-islamische Ennahda, die wieder hofft, stärkste Kraft im Parlament zu werden - wirklich profitieren kann sie von ihrer Geschlossenheit aber auch nicht: Nach einer Umfrage haben 80 Prozent der Tunesier kein oder wenig Vertrauen in die Parteien.

Wie schon bei der Kommunalwahl 2018 werden unabhängigen Kandidaten große Chancen eingeräumt, die Vertreter der etablierten Kräfte zu schlagen. Eine Prozenthürde für den Einzug ins Parlament gibt es nicht, und weil Unabhängige nur auf einer Liste und nicht alleine antreten dürfen, haben manche Listen mit Scheinbewerbern geschnürt, um die eigene Kandidatur zu ermöglichen. Das neue Parlament dürfte deshalb noch unübersichtlicher werden, als das bisherige, das in vielen Fragen zu keiner Einigung kam - was der nächsten Regierung nicht unbedingt Stabilität verleihen wird. Aus dieser schwierigen Gemengelage machen die Entwicklungen um die Partei Qalb Tounes schließlich einen Krimi. Die Bewegung "Herz Tunesiens" existiert erst seit Juni, dennoch erhofft sich ihr Gründer, aus dem Stand die meisten Sitze zu erobern. Nabil Karoui ist Werbemogul und TV-Unternehmer. Nachdem sein Sohn Khalil bei einem Autounfall gestorben war, entdeckte er die Wohlfahrt für sich und verteilte Nahrungsmittel in Armenvierteln, stets begleitet von Kameras seines Senders Nessma TV. Als Karoui auch politische Ambitionen entwickelte, begann die Justiz, seit Jahren bekannten Geldwäsche- und Steuerhinterziehungsvorwürfen nachzugehen. Die erste Runde der Präsidentschaftswahl erlebte der 56-Jährige in Untersuchungshaft und beendete sie dennoch auf dem zweiten Platz.

Karoui ist immer noch nicht frei, am Dienstag verweigerte ihm ein Gericht zum vierten Mal die Freilassung. Der Wahlkampf zur Stichwahl der Präsidentschaftswahl startete also am Donnerstag ohne den Kandidaten, die Kampagne für die Parlamentswahl ging am Freitag ohne ihn zu Ende. Dafür tauchten am Donnerstag neue Vorwürfe auf - nach denen noch unklarer ist, wer in Tunis eigentlich gegen wen intrigiert. Auf einer Internetseite des US-Justizministeriums, auf der alle in den USA für Ausländer tätigen Lobbyisten ihre Verträge offen legen müssen, wurde ein Papier einer Beratungsfirma hochgeladen. Für eine Million Dollar verpflichtete sich darin eine kanadische Agentur, für Karoui Treffen mit US-Präsident Donald Trump und Russlands Staatschef Wladimir Putin zu organisieren.

Nach tunesischem Wahlgesetz könnte die Annahme von Hilfe aus dem Ausland illegal sein. Dass der Eigner der Beratungsfirma ein israelischer Ex-Agent ist, kratzt zudem am Image des Kandidaten. Karouis Anwälte bestreiten, dass ihr Mandant etwas mit dem Vertrag zu tun hat, beschuldigen seine Gegner, gegen den "Nelson Mandela Nordafrikas" zu intrigieren.

Wenn dem so wäre, hätte der Mann namens Mohamed Bouderbala, der das Papier mit der kanadischen Firma unterzeichnete, nicht nur ein Faible für hollywoodreife Wendungen, sondern auch ein einem Blockbuster angemessenes Budget: Ein Viertel der vereinbarten Lohns - 250 000 Dollar - zahlte er schon bei Vertragsabschluss.

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