Für ein relativ kleines EU-Land mit knapp neun Millionen Einwohnern zieht Österreich derzeit ziemlich viel Aufmerksamkeit auf sich. Diesmal liegt das nicht an Erfolgen der radikal rechten Freiheitlichen Partei, sondern an der Außenpolitik Wiens und dem Kurs des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Wobei die FPÖ zumindest indirekt auch eine Rolle spielt. Aber alles der Reihe nach.
Das Verhältnis zwischen der Türkei und Österreich zerrüttet sich in diesen Tagen im Zeitraffer. Ausgangspunkt war der gescheiterte Putschversuch und der darauffolgende Verhaftungsfuror in der Türkei.
Vor Kurzem hat Österreichs Bundeskanzler Christian Kern angesichts der Lage in der Türkei die EU-Beitrittsgespräche mit Ankara quasi beendet, die Verhandlungen seien "nur noch diplomatische Fiktion", sagte der Sozialdemokrat. Und preschte damit in Gefilde vor, in denen sich die Spitzen in Brüssel, Berlin und viele andere europäische Staats- und Regierungschefs noch nicht bewegen wollen.
Wie sich die Eskalationsspirale dreht, gefällt Berlin ganz und gar nicht
Kerns Aussagen lösten in der türkischen Regierung so viel Heiterkeit aus wie ein Zigarettenstummel in einer Melange. Nun kürte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Wien zur "Hauptstadt des radikalen Rassismus'". Sein österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz bestellte den türkischen Botschafter ein, dann legte er nach. Am Freitagabend erklärte er den Flüchtlingsdeal sinngemäß für gescheitert. Die EU müsse die Außengrenzen selbst schützen, um nicht mehr erpressbar zu sein, sagte Kurz im ORF.
Die Art und Weise, wie Wien die Eskalationsspirale dreht, gefällt Berlin ganz und gar nicht. Denn Deutschland will seinerseits weder das mühsam ausgehandelte Flüchtlingsabkommen kündigen noch im Vorbeigehen die Beitrittsverhandlungen kippen. Wenn, dann muss das Ankara schon selbst machen. Entsprechend versuchten Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn, die starken Sprüche der Österreicher abzudämpfen. Man möchte die Situation endlich beruhigen, man möchte geschlossen auftreten. Wien torpediert diese Bemühungen.
Im Grunde genommen geht es auch um die Frage, wie die EU agiert und ob sie sich dabei untereinander abstimmt. Oder ob öffentlich gegeneinander gehandelt wird, wie es der Wiener Außenamtschef Kurz am Freitagabend getan hat. Unmissverständlich holzte er gegen die von Kanzlerin Angela Merkel maßgeblich geprägte EU-Linie in der Flüchtlingskrise. "Das Kartenhaus der falschen Flüchtlingspolitik wird zusammenbrechen", so Kurz. Es brauche nun eine "ehrliche Debatte". Es klingt so, als ob Österreichs Chefdiplomat Merkel und der EU vorhält, unehrlich zu sein. Merkels bester unionsinterner Parteifeind Horst Seehofer dürfte über solche Aussagen frohlocken.