Türkei:Erdoğan sagt Opposition den Kampf an

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Wahlsieger Erdoğan wendet sich am Sonntag im Präsidentenpalast an seine Anhänger. (Foto: Umit Bektas/Reuters)

Nach seinem knappen Wahlsieg in der Stichwahl hält der türkische Präsident eine unversöhnliche Rede. Sie wirkt wie eine Drohung an seine politischen Gegner.

Von Tomas Avenarius, Berlin

Nach seinem knappen, aber klaren Wahlsieg in der Stichwahl wird der alte und neue türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wohl noch autoritärer regieren als in den vergangenen Jahren. De facto hat der Präsident nach dieser Wahl jeden zweiten Türken gegen sich. Naheliegend wäre es, Versöhnung anzubieten. Aber die Rede, die Erdoğan nach dem Wahlsieg gehalten hat, lässt das Gegenteil erwarten. Der konservativ-islamistische Politiker dürfte jede Art von Opposition nur noch kompromissloser bekämpfen.

Aufsehen hatte ein Satz seiner Rede erregt: "Wir werden nicht nur bis Sonntag zusammensein, sondern bis zum Grab." Kritiker hören heraus, dass der 69-Jährige vielleicht auf Lebenszeit regieren möchte. Instrumente dafür im Kampf gegen die Opposition hat er: die schon lange nicht mehr unabhängige Justiz. Ein nach der Wahl vom eigenen Parteienbündnis dominiertes Parlament. Und die zum Großteil gleichgeschalteten Medien. So ist an Versöhnung mit den Kurden durch Freilassung des inhaftierten Kurdenpolitikers Selahattin Demirtaş nicht zu denken. Im Wahlkampf hatte Erdoğan den früheren Co-Chef der prokurdischen Partei HDP einen "Terroristen" genannt, Teile der Opposition warf er wegen ihrer Zusammenarbeit mit der HDP in denselben Topf. Das schon länger laufende Verbotsverfahren gegen die HDP könnte nun vollzogen werden. Eine Freilassung des Kulturmäzens Osman Kavala erscheint ebenso undenkbar. Selbiges gilt für Aktivisten, die wegen der Gezi-Proteste von 2013 verurteilt worden sind.

Die Kaltstellung jeglicher Opposition könnte sich auch gegen die Mitte-links-Partei CHP richten, für die der Gegenkandidat Kemal Kılıçdaroğlu das Bündnis der Erdoğan-Gegner angeführt hatte. Gegen Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu war bereits vor der Wahl ein Beleidigungsverfahren geführt worden. Der CHP-Politiker, der als zukünftiger Oppositionsführer gehandelt wird, könnte nun inhaftiert werden. In seiner Wahlsiegrede hatte Erdoğan angekündigt, bei den Kommunalwahlen die Großstädte zurückgewinnen zu wollen: Istanbul, Ankara und Izmir sind von der CHP regiert. Ohne die Oberbürgermeister von der Opposition könnte Erdoğan durchregieren.

So drohen der Türkei aufreibende Jahre. Außenpolitisch steht Erdogan für neue Konflikte mit der EU, den USA und der Nato. Zu welchem Preis Ankara die Blockade der Nato-Mitgliedschaft Schwedens aufgibt, wird sich zeigen. Auch die Fortsetzung des Flüchtlingsabkommens mit der EU wird kosten: Erdoğan hatte dem Wahlvolk versprochen, die vier Millionen syrischen Flüchtlinge auszuweisen.

Da die Opposition nach dem Wahlerfolg mehrerer nationalistischer Parteien vor der Stichwahl in einer drastischen Kehrtwende ebenfalls die Rückführung der Syrer versprochen hatte, könnte Erdoğan Ernst machen oder mit Drohungen neue finanzielle Zugeständnisse der EU erzwingen. Entscheidend insgesamt aber wird die Wirtschaft sein: Setzt Erdoğan seinen ruinösen Kurs in der Geld- und Zinspolitik fort, drohen der Türkei Rezession und Kollaps. Spätestens dann könnten Erdoğans Fans doch noch ins Nachdenken kommen.

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