TTIP:Sesam, öffne dich

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Nach monatelangem Hickhack werden die TTIP-Dokumente Bundestagsabgeordneten in diesem Leseraum zugänglich gemacht. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Von diesem Montag an können Bundestagsabgeordnete in Berlin die Dokumente zum Freihandelsabkommen einsehen. Bis Jahresende wollen EU und USA die letzten Streitpunkte beigelegt haben.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Im Bundeswirtschaftsministerium gibt es jetzt ein Lesezimmer der besonderen Art. Von diesem Montag an können dort Abgeordnete des Bundestags Dokumente zum europäisch-amerikanischen Handelsabkommen TTIP einsehen; auch jene, in denen sich die Verhandlungsposition der USA wiederfindet. Das Berliner Lesezimmer soll ein Signal sein für mehr Transparenz und Demokratie. Es ist auch der Versuch einer Antwort an alle TTIP-Gegner, die im Herbst zu Hunderttausenden in Berlin demonstrierten. Nur: Leiser wird die Kritik sicher nicht, denn dieses Jahr sollen die Verhandlungen abgeschlossen werden. So lautet noch immer das erklärte Ziel in Brüssel und Washington.

Der Zeitplan ist ambitioniert, das weiß auch EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström: "Es kann schwierig werden, wenn in den USA der Wahlkampf voll einsetzt. Notfalls müssen wir mit der nächsten Regierung weiterverhandeln." Noch sitzt aber Barack Obama im Weißen Haus, und nur ein paar Schritte davon entfernt, im Büro des US-Handelsbeauftragten, laufen die Fäden auf amerikanischer Seite zusammen. Die Abgesandten des Handelsbeauftragten werden in zwei Wochen nach Brüssel reisen. Dort findet die zwölfte TTIP-Verhandlungsrunde statt.

Die Amerikaner sind erstaunt, dass die Europäer ihre roten Linien öffentlich machen

Seit zweieinhalb Jahren laufen die Gespräche nun zwischen der EU und den USA. Es sind stets Treffen auf Augenhöhe - und genau das macht es für beide Seiten so schwierig. Sie verhandeln mit einem gleichstarken Partner, daher können sie dem anderen nicht einfach ihre Vorstellungen aufdrücken. Und der Gesprächsmodus, wonach die heikelsten Fragen erst am Schluss besprochen werden, erschwert jede Vorhersage, ob eine Einigung in diesem Jahr möglich ist.

Die Amerikaner sind immer wieder erstaunt, dass die Europäische Union ihre roten Linien, also ihre nicht verhandelbaren Punkte, öffentlich macht. In Washington haben die Unterhändler eine andere Taktik: Ihre roten Linien kommen erst im Laufe der Verhandlungen zum Vorschein - die dunkelroten ganz am Ende. Bis dahin gibt es noch viele ungelöste Probleme: bei Zöllen etwa, bei Regulierungsfragen und vor allem bei Agrar-Interessen. Zum Beispiel die Frage, wie viel Fleisch die USA nach Europa liefern dürfen. Oder ob Parmesan nur dann auf der Packung stehen darf, wenn er aus Italien kommt.

Das alles sind Themen, die Amerikas Öffentlichkeit zurzeit nicht interessieren. Wenn es in den USA um Handelsabkommen geht, dann um TPP, den geplanten Transpazifik-Pakt. Die Verhandlungen sind abgeschlossen, der Text ist fertig, 6000 Seiten sind es geworden. Geht es nach Obama, soll das Abkommen im Frühjahr durch den Kongress. Das wird nicht einfach, denn die USA befinden sich im Vorwahlkampfmodus. Hillary Clinton von den Demokraten und auch der Republikaner Donald Trump haben sich mehr oder weniger deutlich gegen TPP ausgesprochen. In den USA grassiert die Sorge, dass amerikanische Unternehmen Arbeitsplätze in asiatische Niedriglohnländer verlagern könnten. TTIP wiederum spielt im US-Wahlkampf bislang keine Rolle - und wird es ziemlich sicher auch nicht. Wenn man so will, ist das transpazifische Abkommen der Lackmus-Test für TTIP in den USA. Scheitert TPP im Kongress, würde dies die Verhandlungen mit Europa deutlich erschweren.

Die Verhandlungsführer diesseits und jenseits des Atlantiks wissen das natürlich. Trotzdem dürfen sie sich nicht davon beeinflussen lassen. In der nächsten Verhandlungsrunde wird es vor allem um einen Punkt gehen, der seit jeher den Handel hemmt: Zölle. Beim letzten Treffen im Herbst in Miami haben sich die Europäer und Amerikaner bereits darauf geeinigt, 97 Prozent aller Zölle abzubauen. Übrig bleiben also drei Prozent. Dazu muss man wissen: Bereits jetzt ist mehr als die Hälfte des Handelsaufkommens zwischen der EU und den USA zollfrei. Im Durchschnitt sind die Zölle sogar äußerst niedrig, sie liegen bei etwa zwei Prozent. Es gibt aber Produkte, die schlicht nicht gehandelt werden, weil die Einfuhrabgaben darauf viel zu hoch sind: 130 Prozent bei Erdnüssen, 140 Prozent bei manchen Molkerei-Produkten. Sie zählen zu den drei Prozent an Zöllen, über deren Abbau noch geredet werden muss; es geht dabei ausschließlich um Agrarprodukte.

Auch in den USA gibt es Kritik an TTIP: von Gewerkschaften, aber auch von den Konservativen

Am Ende wird es eine Liste der umstrittensten Dinge geben. Aus amerikanischer Sicht steht (Hormon-)Fleisch ganz oben. Die Amerikaner würden gerne mehr Schwein und Rind nach Europa verkaufen. Auch Käse, Milch und Pfirsiche stehen auf der Liste des US-Agrarministeriums. Die Europäer wiederum würden am liebsten mehr Wein und Bier exportieren. Und dafür keine Zölle mehr bezahlen. Neben den Tarifen für Ein- und Ausfuhren werden die Verhandlungsgruppen auch über pflanzenschutzrechtliche Fragen und den Einsatz von Biotechnologie sprechen. Die Amerikaner haben starke Bedenken, dass den europäischen Lebensmittelkontrollen oft die wissenschaftliche Basis für Entscheidungen fehlt, etwa bei der Frage wie man Salmonellen reduzieren kann. Ein weiterer Streitpunkt im Lebensmittelbereich sind sogenannte geografisch geschützte Angaben. Viele Lebensmittel und Getränke aus der EU werden in bestimmten Regionen hergestellt - und nur dort. Champagner zum Beispiel, Parmesan oder Tiroler Speck. In den USA wiederum gibt es "Idaho Potatoes", die aus Montana stammen. Und "Parmesan", der nicht aus Italien kommt, sondern aus dem Mittleren Westen, findet man in fast jedem US-Supermarkt. In der EU sind es vor allem Franzosen und Italiener, die für ihre Herkunftsbezeichnungen kämpfen. Das Problem ist nur: Deren Schutz ist in der EU und den USA unterschiedlich geregelt. Das EU-Recht schützt sie als "geografische Angabe", das US-Recht wiederum gestattet den Herstellern den Schutz als Warenzeichen (trade mark); viele EU-Bezeichnungen sind dagegen nicht geschützt.

Die Brüsseler Verhandler wollen deshalb eine Liste, auf der dann eben auch Parmesan stehen wird. Für die Kollegen in Washington ist das jedoch unvorstellbar. Sie plädieren für ein Siegel, auf dem "Original Parmesan" stehen könnte. Dass Parmesan made in USA plötzlich aus den Supermarktregalen verschwindet, glaubt in Washington niemand.

Ein weiteres Problem für die Amerikaner ist die Forderung der Europäer nach einem globalen Handelsgerichtshof. Dieser soll nach dem Willen der EU-Kommission die umstrittenen Schiedsgerichte ersetzen. Diese kann ein Unternehmen anrufen, wenn es durch Gesetze und Verordnungen ausländischer Regierungen und Parlamente sein Eigentum bedroht sieht. Kritiker sehen darin die Möglichkeit, dass Konzerne mehr oder weniger heimlich demokratische Entscheidungen aushebeln können, zum Beispiel den Atomausstieg in Deutschland. In Washington betont ein Handelsbeamter: "Wir wollen auch nicht, dass ein deutsches Unternehmen unsere kleine Stadt in Florida verklagt." Aber man werde auf jeden Fall am bisherigen System festhalten - dieses habe sich bewährt. Vielleicht ist das Vertrauen der Amerikaner in die Schiedsgerichte auch deshalb so hoch, weil sie noch nie einen Fall verloren haben.

Neben Agrar-Themen und dem Investorenschutz schüren TTIP-Kritiker stets die Angst davor, dass Schutzstandards abgeschwächt würden. Doch genau in diesem Punkt findet sich die größtmögliche Übereinstimmung auf beiden Seiten: Umwelt-, Sicherheit-, Sozial- und Lebensmittelstandards seien nicht verhandelbar, heißt es in Brüssel und Washington. Auch öffentliche Dienstleistungen, Kultur und Datenschutz seien nicht Teil der TTIP-Gespräche.

Es ist nicht so, dass es in den USA überhaupt keine Kritik an TTIP gäbe. Sowohl NGOs, Gewerkschaften als auch konservative Think-Tanks sehen in dem geplanten Abkommen Gefahren. Sie alle eint das Gefühl, dass die Globalisierung den Bürgern zu viel werden könnte. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass sich die TTIP-Verhandler am Ende auch nur auf das einigen, was relativ leicht umzusetzen ist: Zölle abbauen, Handelsquoten festlegen - und zwar nur für die wichtigsten Wirtschaftszweige. Das wäre dann der kleinste gemeinsame Nenner. Die Frage ist allerdings, ob das reicht und ob nicht andere das Handelsvakuum füllen würden: Indien oder China.

© SZ vom 01.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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