Grund dafür ist ein gefährlicher Cocktail aus extrem hoher Arbeitslosigkeit, fehlender Zukunftsperspektive und der Radikalisierung der Islamisten, die ein leichtes Spiel haben, die Jugendlichen zu beeinflussen. Denn Korruption und der sehr späte Beginn einer Wirtschaftspolitik für die Region haben Moskaus Versuche scheitern lassen, die Gewalt im Süden einzudämmen.
Doku Umarow ist der selbsternannte Anführer der islamistischen Terroristen im Nordkaukasus. Praktisch kämpfen extremistische Islamisten offenbar in kleineren Gruppen und relativ unabhängig voneinander. Umarow aber gibt den Ton an, stellt sich als Spiritus Rector dar, der die Verantwortung für die schwersten Anschläge der vergangenen Jahre in Russland auf sich genommen hat: die Selbstmordanschläge auf die Moskauer Metro, die Attacke auf den Moskauer Flughafen Domodedowo.
Längst haben sich die Ziele geändert. Es geht nicht mehr um eine Unabhängigkeit Tschetscheniens, es geht um ein Kalifat vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer. Denn vor allem die Muslime im entfernten zentralrussischen Tatarstan, einer Hochburg des Islam, sind verstärkt den Anwerbeversuchen radikaler Salafisten ausgesetzt. Jana Amelina, Kaukasus-Expertin am Russischen Institut für strategische Forschung, zitierte einen Ideologen des nordkaukasischen Dschihad mit den Worten: "Allah hat uns befohlen, unter seinem Schariat zu leben, und nur mit Gewehren, die die Gegner des Schariats vernichten, können wir seinen Willen erfüllen."
Die russische Regierung hat deshalb Grund zur Sorge, und durch den Anschlag in Boston ist sie noch einmal größer geworden. Vielleicht weniger deshalb, weil die möglichen Attentäter vor vielen Jahren im eigenen Land lebten, sondern weil das Ziel, der Marathonlauf, Moskau an bevorstehende Wettkämpfe erinnert: die Leichtathletik-Weltmeisterschaft im August, die Olympischen Spiele in Sotschi, direkt am Fuße des Kaukasus. "Die USA haben einen der stärksten Anti-Terror-Dienste der Welt", sagte Sicherheitsexperte Sergej Karaganow, "und so läuten die Glocken von Boston auch für uns."