Treffen der EU-Außenminister:Türkischer Europaminister: Wir könnten anderen Lektionen in Demokratie erteilen

Lesezeit: 3 min

"Solange es keine Visaliberalisierung gibt, können wir keine weiteren Schritte unternehmen", warnt der türkische Europaminister Çelik am Samstag in Bratislava. (Foto: dpa)
  • Beim einem Treffen mit den EU-Außenministern in Bratislava warf der türkische Europaminister Ömer Çelik der EU vor, sie habe den Putschversuch in der Türkei nur halbherzig verurteilt.
  • Der Europaminister stellte außerdem klar, dass die Türkei nun endlich die im Flüchtlingsdeal zugesagte beschleunigte Visaliberalisierung erwartet.
  • Elmar Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, sagte, beide Seiten - die Türkei und die EU - müssten "rhetorisch abrüsten".

Von Daniel Brössler, Bratislava

Zwei Dinge hat Ömer Çelik mitgebracht nach Bratislava. Zeit und Wut. Seine Ausführungen dauern deutlich länger als vereinbart und fallen dabei so emotional aus wie erwartet. Die EU-Außenminister haben den türkischen Europaminister eingeladen zu ihrem Treffen in der slowakischen Hauptstadt. Zum ersten Mal seit dem Putschversuch soll es ein Gespräch geben zwischen einem türkischen Regierungsmitglied und Vertretern aller EU-Staaten.

Ein "sehr, sehr offenes Gespräch"

Çelik nutzt die Gelegenheit für eine nicht enden wollende Standpauke. Eine Stunde wollte man sich zum Frühstück treffen. Tatsächlich beansprucht die Begegnung fast den ganzen Vormittag. Ein "sehr, sehr offenes Gespräch" sei es gewesen, sagt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Anschluss. "Ich habe sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass wir enttäuscht waren", formuliert es Çelik selbst während einer improvisierten Pressekonferenz.

Politiker aus der EU hätten den Putschversuch zwar verurteilt, aber eben nur halbherzig. "In den Erklärungen wurde in einem Absatz der Putsch verurteilt, in neun Absätzen wurden unsere Entscheidungen in Frage gestellt", klagt Çelik. Dabei könne es doch an der Rechtsstaatlichkeit gar keine Zweifel geben. Über die Putschisten sagt er: "Wir hätten sie töten können." Wiewohl 240 Menschen, unter ihnen Polizisten, ums Leben gekommen seien, beweise das doch, dass die Türkei an der Rechtsstaatlichkeit festgehalten habe. Denn: "Es ging uns nicht um Rache, es ging uns um Recht."

Gedacht war das Treffen in Bratislava als erste Übung zum Abbau von Frust. "Beide Seiten müssen rhetorisch abrüsten", hatte Elmar Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament gefordert. Çelik aber will lieber ein paar Dinge klarstellen. Die Türkei vermisse jene Solidarität, wie sie selbst etwa nach den Charlie-Hebdo-Anschlägen von Paris Frankreich erwiesen habe. Kritik an massenhaften Verhaftungen weist er zurück.

"Niemand sollte uns Demokratie-Lektionen erteilen. Wir sind es, die solche Lektionen geben könnten", ereifert sich der Minister. Schließlich sei es Präsident Recep Tayyip Erdoğan gewesen, der sich den Putschisten mutig entgegengestellt und die Menschen auf die Straßen gerufen habe. So sei die Demokratie gerettet worden.

Es ist nicht so, dass die EU-Außenminister Çelik in Bratislava nicht auch widersprechen würden. Mehrere von ihnen erinnern den Türken an rechtstaatliche Grundsätze und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Nicht jede aus Solidarität und Sorge gestellte kritische Frage aus Europa solle "als Unverständnis oder gar Ignoranz verstanden werden", bittet Steinmeier.

Deutlich spürbar aber ist das Gefühl, die in der Flüchtlingskrise, im Syrien-Krieg und dem Anti-Terror-Kampf dringend benötigten Türken beruhigen zu müssen. Vielleicht müssten die Europäer "sogar selbstkritisch zugeben, dass die Empathie und die Emotionalität dieser Anteilnahme und dieser Solidaritätsbekundung nicht in der notwendigen Form, nicht in der notwendigen Intensität in der Türkei angekommen ist", räumt der deutsche Außenminister ein.

Moralisch fühlt sich die Türkei im Recht

Çelik erweichen derlei Worte nicht - jedenfalls nicht in der Sache. Der Europaminister stellt klar, dass die Türkei nun endlich die im Flüchtlingsdeal zugesagte beschleunigte Visaliberalisierung erwartet. Die Türkei erfülle ihre Verpflichtungen, die EU aber nicht ihre. Den Deal, der den Strom der Flüchtlinge über die Ägäis nach Griechenland weitgehend gestoppt hat, stellt er zwar nicht in Frage. Aber Çelik warnt: "Solange es keine Visaliberalisierung gibt, können wir keine weiteren Schritte unternehmen." Genau solche würden aber nötig werden, wenn sich die Krise wieder zuspitze und mehr Flüchtlinge kämen.

Bislang hat die Türkei fünf von 72 Bedingungen der EU für die Visafreiheit nicht erfüllt. Eine davon sind Änderungen in der Anti-Terror-Gesetzgebung. "In dieser Lage kann es keine vernünftige Erwartung geben, dass die Türkei ihre Anti-Terror-Gesetzgebung ändert", erteilt Çelik eine unmissverständliche Abfuhr. Allenfalls könne sie Änderungen für eine Zukunft in Aussicht stellen, in der die terroristische Bedrohung gebannt sei.

Auf die Visafreiheit allerdings will die Türkei so lange nicht warten. Moralisch fühlt sie sich im Recht. Çelik verweist auf die Lasten, die sein Land in der Flüchtlingskrise auf sich genommen habe. Drei Millionen Menschen habe die Türkei aufgenommen, berichtet er mit einem Seitenhieb auf das Gastgeberland, dessen Flüchtlingspolitik besonders abweisend ist: "Das ist halb so viel, wie die Slowakei Einwohner hat."

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Türkisch-deutsches Verhältnis
:AKP wirft Deutschland "Doppelmoral" bei Kurden-Demo vor

Im Juli gab es Streit um eine türkische Kundgebung in Köln. Nun demonstrieren an gleicher Stelle Tausende Kurden gegen Präsident Erdoğan. Ein AKP-Abgeordneter regt sich auf, dass sich diesmal niemand aufregt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: