Auf ein Wort reduziert geht es in Afghanistan zurzeit um: Kontrolle. Die diversen Kriegsfraktionen bemühen sich um Kontrolle des politischen Prozesses - ob es sich nun um Friedensverhandlungen oder um innerafghanische Machtspiele handelt. Und das Militär will um jeden Preis eine Eskalation der Gewalt vermeiden, wenn erst einmal die durch den Winter bedingte Waffenruhe endet. Alles in allem geht es um eine kontrollierte Deeskalation. Die funktioniert wie ein Ventil im Dampfkochtopf, dessen Deckel man ja auch nicht plötzlich und unvorsichtig anheben sollte.
Deswegen ist die Nachricht vom Tod der vier französischen Soldaten mit einem beunruhigenden Sub-Text geschrieben. Der Feuerüberfall - vermutlich verübt von einem übergelaufenen afghanischen Soldaten - könnte den Kontroll-Konsens zerstören, weil er den französischen Präsidenten in einem empfindlichen Moment trifft. Afghanistan könnte zum Wahlkampfthema werden, zumal Herausforderer François Hollande den populistischen Abzugs-Herold gibt und keine Rücksicht auf die übergeordneten Strategien nehmen muss.
Längst haben sich alle Nationen auf den behutsamen Abzug eingestellt. Allerdings herrscht ein stiller Konsens, dass die Unternehmung gefährlich werden könnte, wenn es zu unkoordinierten Fluchtbewegungen kommt. Die internationale Truppe ist stark vernetzt, alle sind aufeinander angewiesen. Muss Nicolas Sarkozy unter innenpolitischem Druck überhastet den Befehl zum Abmarsch geben, dann werden Nationen mit noch weniger Truppen erst recht auf die Ausgangstür schielen. Sarkozy weiß um diese Gefahr - am Ende aber wird ihm seine Wiederwahl wichtiger sein.