Thüringen:Polizisten verrieten Neonazis Geheimnisse

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Hatten die Rechtsextremen um die Zwickauer Terrorzelle geheime Helfer bei der Polizei? Thüringen prüft, ob Beamte den Neonazis wichtige Informationen verraten haben. Falls sich der Verdacht bestätigt, könnte daraus eine Staatsaffäre werden.

John Goetz und Hans Leyendecker

Bei der Sichtung von Akten über den Einsatz von V-Leuten der Behörden in Thüringens Neonazi-Szene zwischen 1996 und 2003 sind Unterlagen aufgetaucht, die einen anderen Verdacht aufkommen lassen: Agierten Polizisten als V-Leute der knallrechten Szene?

Das Innenministerium in Erfurt hat in dieser Woche dem Untersuchungsausschuss des Bundestages auf drei Seiten eine entsprechende "Information zu Verdachtsfällen des Geheimnisverrats durch Thüringer Polizeibeamte an Rechtsextremisten im Jahr 1999" geschickt.

Demnach gab es Ende der neunziger Jahre erstmals den Verdacht, dass ein Beamter der Polizeidirektion Saalfeld dem Kassenwart der NPD in Saalfeld eine geplante Durchsuchungsaktionen der Polizei gesteckt haben soll. Der alte Hinweis ist auch deshalb von Bedeutung, weil der damalige Schatzmeister der NPD enge Beziehungen zu dem ehemaligen NPD-Funktionär Ralf Wohlleben hatte, der wegen möglicher Beihilfe zu Morden der Zwickauer Terrorzelle in Untersuchungshaft sitzt.

Die Mörder der braunen Bande kamen allesamt aus dem "Thüringer Heimatschutz", der damals von Verfassungsschützern und Polizei durchleuchtet werden sollte. Der Hinweis auf den Polizisten, das ergibt sich aus amtlichen Unterlagen, kam von einer "Quelle zur Erprobung" des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Auch eine zweite Quelle des BfV soll den Beamten, der angeblich mit dem NPD-Kassenwart kooperierte, belastet haben.

Eine weitere Quelle aus der Neonazi-Szene, die dem Militärischen Abschirmdienst Bericht erstattete, meldete fast zeitgleich, dass angeblich ein Polizist, der der Schulkamerad eines Neonazis gewesen sei, dem früheren Mitschüler im Fitnessstudio "polizeiliche Informationen" übermittelt habe. Von dem Beamten ist nur ein Spitzname bekannt. Ein weiterer angeblicher Beamter des Landeskriminalamts soll auch über angebliche Polizeierkenntnisse geredet haben.

Die Hinweise, dass Polizisten Geheimnisse an Neonazis verraten haben könnten, waren 1999 zu den Akten gelegt worden. Nachdem die NSU, die zehn Menschen ermordete, im November 2011 aufflog, wurden die alten Akten erneut geprüft.

Informant oder Wichtigtuer?

Der mit Namen bekannte Polizeibeamte war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei der Polizei, sondern beim Verfassungsschutz. Er war im September 2010 zum Thüringer Landesamt abgeordnet und Mitarbeiter der Behörde geworden. Er wurde als V-Mann Führer eingesetzt. "Als Konsequenz der erneuten Prüfung der Meldungen des BfV", so das Innenministerium, sei er im Dezember an die Polizeidirektion Erfurt abgeordnet" und dann versetzt worden.

Bei nach dem "Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz" durchgeführten Ermittlungen und nach Erörterungen mit der Polizeidirektion Saalfeld hätten sich "keine bestätigenden Hinweise auf einen seinerzeitigen Verdachtsfall" gegeben.

Bei dem zweiten angeblichen Beamten seien "die Recherchen zur Feststellung der Identität dieses Polizeibeamten noch nicht abgeschlossen". Der dritte angebliche Beamte ist möglicherweise ein Wichtigtuer gewesen, der sich den Neonazis als Quelle anbot und sich als Polizist ausgab.

Es ist nicht auszuschließen, dass die rechtsradikalen Quellen die Beamten denunziert haben. Einige der Quellen-Meldungen haben sich später als falsch herausgestellt. Falls der Verdacht jedoch stimmen sollte, dass Polizisten Rechtsextreme über Ermittlungen informiert haben, dann könnte daraus eine Staatsaffäre werden.

© SZ vom 25.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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