Terrorismus in Deutschland:Ein Gefühl für Sicherheit

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Polizisten patrouillieren in der Innenstadt von Bremen. (Foto: dpa)
  • Seit den Terroranschlägen von Paris und Kopenhagen sind die deutschen Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft.
  • Experten warnen, voreilig verkündete Warnmaßnahmen könnten dazu führen, dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Behörden verliert und abstumpft.
  • Die Entscheidung liegt bei den Ländern. Trotzdem sollen Bundesbehörden in Zukunft stärker einbezogen werden.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo

Wenn Thomas de Maizière über die Sicherheitslage in Deutschland spricht, benutzt er gern ein eingängiges Bild: Die Sicherheitsbehörden säßen derzeit auf der "vorderen Stuhlkante". Von einer Stuhlkante kann man abrutschen, sogar runterfallen. Aber eigentlich ist damit gemeint, dass einer auf dem Sprung ist. So sieht es auch der Bundesinnenminister, der alles andere als ein Panikmacher ist. Nach seiner Wahrnehmung sind die Nachrichtendienste, die Staatsschützer, die Polizei und all die anderen Behörden derzeit vor allem auf dem Sprung. Besonders seit dem Massaker bei Charlie Hebdo befürchten sie einen Anschlag islamistischer Terroristen in Deutschland.

Viele in den Sicherheitsbehörden sind davon überzeugt, dass es nach Frankreich und Dänemark nun auch Deutschland treffen könnte. Es wird observiert, abgehört und verdeckt ermittelt. Kein Hinweis soll, kein Hinweis darf übersehen werden. Aber die Fachleute, auch die in de Maizières Ministerium, debattieren leidenschaftlich, ob die Verantwortlichen in Sachsen, Niedersachsen und Bremen, wo es in den vergangenen Wochen aufsehenerregende Warnungen vor islamistischer Bedrohung gab, überreagiert haben oder nicht.

Nur der Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten, André Schulz, hat sich bisher getraut, auszusprechen, was viele Mitarbeiter in den Sicherheitsbehörden in Hintergrundgesprächen so oder ähnlich einschätzen: "Die Polizei muss aufpassen, dass sie nicht durch überzogene Maßnahmen das Vertrauen der Menschen verliert." Schulz meinte damit offensichtlich, dass voreilig verkündete Warnungen abstumpfen können. "Mit den Ängsten der Bevölkerung darf man nicht spielen."

Schon immer gab es zwei Pole: Panikmache und Gelassenheit

Dreimal wurde in den vergangenen Wochen Alarm ausgelöst, jeweils begleitet von Schlagzeilen und Sondersendungen: Demonstrationen wurden verboten (Dresden), ein Karnevalsumzug wurde abgesagt (Braunschweig), schwer bewaffnete Polizisten wurden mit Maschinenpistolen auf Patrouille in die Innenstadt geschickt (Bremen).

In allen drei Fällen hat sich der Verdacht auf angeblich geplante Anschläge bisher nicht erhärtet; es gibt keine heißen Spuren und schon gar keine Verhaftungen. In Bremen suchte die Polizei mit Maschinenpistolen im Anschlag im Islamischen Kulturzentrum nach Waffen und fand nur Gebetsteppiche. Die Ereignisse könnten den Eindruck entstehen lassen, es gäbe beinahe im Wochentakt Anschlags-Pläne von Islamisten in Deutschland. Das wäre ein falscher Eindruck. Deutschland ist nicht im totalen Alarmzustand.

Der Umgang mit der Bedrohung durch den Terror war nie einfach. Schon früher gab es zwei Pole: Gelassenheit oder Panikmache. Immer wieder hat es verschärfte Sicherheitslagen gegeben, oft handelte es sich um leere Drohungen. Zur allgemeinen Alarmstimmung tragen die rund 200 Gefolgsleute des Islamischen Staates bei, die in Syrien oder im Irak gekämpft haben und zurück sind. Sind sie desillusioniert oder kampfbereit? Und was ist mit denen, die an der Ausreise gehindert wurden und nicht an die Front durften - sind sie womöglich noch gefährlicher als die anderen?

Es wurde gesagt, die Sachsen hätten von Gefahrenanalysen keine Ahnung

Alles begann im Januar in Dresden. Nach dem Hinweis eines ausländischen Geheimdienstes, den das Bundesamt für Verfassungsschutz erhielt, wurden die Pegida-Demonstration und alle Gegenveranstaltungen abgesagt. Die Kritik an der Absage war hart, kaum jemand in Bund und Ländern konnte die Entscheidung der Sachsen nachvollziehen.

Die konkrete Drohung richtete sich gegen den Pegida-Funktionär Lutz Bachmann. Man hätte ihn schützen oder seine Teilnahme einfach verhindern können, hieß es. Die Sachsen hätten von solchen Gefahrenanalysen keine Ahnung, wurde auch gesagt.

Unter dubiosen Umständen von angeblichen Anschlagsplänen erfahren

Im Februar wurde nach einem Bericht eines bis dahin zuverlässig geltenden V-Mannes des Verfassungsschutzes Niedersachsen der Karnevalsumzug in Braunschweig verboten. Aber die Umstände, unter denen die Quelle des Staatsschutzes von dem angeblich geplanten Anschlag erfahren haben will, gelten manchen als dubios.

Das Bundesinnenministerium erfuhr nur kurzfristig vom Entschluss der Niedersachsen. Das führte zu einem Kuriosum: Kurz bevor die ersten Eilmeldungen aus Niedersachsen liefen, erklärte die Pressestelle von de Maizières Ministerium, es gebe keine konkreten Hinweise auf geplante Anschläge in Deutschland. Inzwischen wird intern die Frage gestellt, ob mehr sichtbare Polizeipräsenz nicht ausreichend gewesen wäre.

Das islamische Kulturzentrum gilt den Bremer Behörden schon lange als verdächtig

In Dresden und Braunschweig war also nicht viel - und in Bremen? In der Hansestadt wurde seit Monaten gegen den mutmaßlichen libanesischen Waffenhändler Mohamed M. ermittelt. Angeblich hatte er 60 Maschinenpistolen und Automatikpistolen des Kalibers 38 erworben und an Leute verteilt, die mit dem Islamischen Kulturzentrum zu tun hatten. Das Kulturzentrum gilt den Bremer Behörden schon lange als verdächtig.

Alarmstimmung: Nach mehreren Warnhinweisen ließ Bremens Innensenator schwerbewaffnete Polizisten patrouillieren. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Die Ermittler hörten die Gespräche des Libanesen ab, der Verdächtige wurde observiert. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz lieferte zwischen Oktober 2014 und Januar 2015 drei Hinweise auf den Verdächtigen.

"Aus den zuletzt in Frankreich verübten Attentaten ergibt sich", so steht es in einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bremen vom 28. Februar, dass "die radikalisierten Täter verdeckt agieren" und mit Maschinenpistolen Morde verübt hätten.

Der Verdächtige verhalte sich konspirativ. Er treffe sich häufiger mit Männern, aber spreche am Telefon nicht mit "männlichen Personen". Im Kulturzentrum habe er eine "Tüte unbekannten Inhalts" an eine nicht "identifizierte Kontaktperson" überreicht. Zudem habe er seit dem 26. Februar Kontakt zu vier unbekannten Männern, die Kalaschnikows besäßen und aus Frankreich kämen. Das machte die Sache besonders brisant.

Ebenfalls seit Monaten ist das Zollkriminalamt in Köln (ZKA) in dem Fall aktiv. Am Donnerstag der vergangenen Woche rief der Dauerdienst des ZKA bei den Bremer Behörden an und teilte mit, es gebe Hinweise, dass Drogen und Waffen in die Stadt gebracht werden sollten. Innensenator Ulrich Mäurer ließ daraufhin das Kulturzentrum stürmen, wo sich die Bewaffneten angeblich aufhielten. Und er ließ ein "Sicherheitsnetz" über die Stadt legen.

Mit den Bundesbehörden war dieser Schritt bestenfalls notdürftig abgestimmt. Während die Bremer Beamten schon in Schutzwesten durch die Stadt marschierten, tat die Bundespolizei im Hauptbahnhof noch in regulärer Uniform Dienst. Berlin schätzte die Lage weniger kritisch ein. Allerdings wird Mäurer zugute gehalten, dass er das Bundesligaspiel Werder Bremen gegen den VfL Wolfsburg nicht absagen ließ, auch darüber war diskutiert worden.

Selbst vermeintlich sehr konkrete Hinweise entpuppen sich manchmal als falsch

Über Dresden, Braunschweig, Bremen ist im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow gesprochen worden. Dort sitzen 40 nationale Behörden aus dem Bereich der inneren Sicherheit und schauen sich in einer Arbeitsgruppe "operative Eilvorgänge" an. Welcher ist "wertig", welcher nicht?

De Maizière jedenfalls hat 2010 nach vermeintlich sehr konkreten Hinweisen auf einen bevorstehenden Terrorakt im Reichstag erfahren, dass selbst "wertig" Müll sein kann. Er hatte die Reichstagskuppel sperren lassen, nachdem ein Wichtigtuer aus Waziristan in drei Anrufen beim BKA von möglichen Anschlägen berichtet hatte. Der Mann wurde später unter anderem wegen "Störung des öffentlichen Friedens" verurteilt.

GTAZ und Bundesbehörden sollen enger eingebunden werden

Es ist nicht einfach, echte und vermeintliche Bedrohungen auseinanderzuhalten. Die letzte Entscheidung, welche Maßnahmen getroffen werden, liegt allein bei den Ländern: Das GTAZ spricht trotz aller Expertisen keine Empfehlung aus. Bislang wurde dieses Verfahren nicht offen kritisiert, aber nach den Vorgängen der vergangenen Wochen scheint dies nun vorbei zu sein: "Alle drei Fälle haben gemeinsam, dass nicht ausreichend erfahrene Behörden überreagiert haben", sagt ein hochrangiger Sicherheitsbeamter. Man müsse nun nach einem neuen Verfahren suchen, in das GTAZ und Bundesbehörden enger eingebunden werden. "Sonst sagen wir künftig auch noch Bundesligaspiele ab."

Islamisten könnten gezielt Anschlagspläne verbreiten, um Panik zu erzeugen

Auch im Bundesinnenministerium wird darüber nachgedacht, was sich verändern lässt oder ändern muss. Die Sorge ist groß, dass Islamisten gezielt mögliche Anschlagspläne verbreiten könnten, um Panik zu schüren.

Unter Sicherheitsexperten macht das Wort von der "psychologischen Komponente" die Runde: In der jetzigen Lage hielten viele Verantwortliche alles für möglich. Hinweise die früher nicht sonderlich ernst genommen worden wären, reichten heute für drastischste Maßnahmen. Und: Was macht man am Wochenende, wenn viele frei haben? Alle drei jetzt diskutierten Entscheidungen fielen in diese Zeit.

Spätestens bei der nächsten Innenministerkonferenz müssen sich die 17 Innenminister und -senatoren mit dem Problem beschäftigen. Die Frage, wann man den Alarmknopf drücken muss, wird ganz oben auf der Tagesordnung stehen.

© SZ vom 07.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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