Tanker vor Malta:"Wir bitten die verantwortlichen Regierungen dringend um humanitäre Hilfe"

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Mit einem kleinen Beiboot rettete die Besatzung der Etienne 27 Menschen aus Seenot - für eine wochenlange Unterbringung der Menschen aber ist der Tanker nicht ausgelegt. (Foto: Maersk Tankers/REUTERS)

Seit einem Monat muss der dänische Tanker "Etienne" vor Malta ausharren, an Bord sind 27 Flüchtlinge, die nicht an Land dürfen. Die Reederei spricht von einem "unseligen Rekord".

Von Andrea Bachstein, München

Für die 353 Migranten auf der Sea Watch 4 kam die Erlösung am Mittwoch, da durften die aus Seenot im Mittelmeer Geretteten im sizilianischen Palermo von Bord. Ein Teil von ihnen war schon seit dem 4. August auf dem deutschen Rettungsschiff, das zunächst keinen Hafen fand. Aber auf einem anderen Schiff warten ebenfalls seit 4. August immer noch Migranten und Flüchtlinge darauf, an Land zu können.

27 Menschen hat der dänische Tanker Etienne vor nun einem Monat 70 Seemeilen nördlich des libyschen Abu Kammasch aus Seenot gerettet. Schaut man dieser Tage auf Marine Traffic, einer Internetseite, die den Schiffsverkehr abbildet, nach der Position der Etienne, findet man ein enges Liniengeflecht um einen Punkt, der den Standort markiert: Es bildet die kleinen Bewegungen an der Ankerkette ab, an der das fast 186 Meter lange Schiff seit 5. August vor Malta hängen muss.

Die Reederei Maersk Tankers, der die Etienne gehört, hat den Fall lange äußerst diskret behandelt. Allmählich sucht sie nun doch die Öffentlichkeit. Sie spricht in einem Statement von einem "unseligen Rekord". Noch kein Handelsschiff habe Gerettete so lange an Bord behalten müssen. "Wir bitten die verantwortlichen Regierungen dringend um humanitäre Hilfe und eine sichere Ausschiffung", heißt es in der Maersk-Mitteilung, "wir bitten die zuständigen Behörden dafür zu sorgen, dass diese Migranten umgehend betreut werden und die Versorgung und Hilfe erhalten, die sie brauchen". Unter den 27 Menschen seien eine Schwangere und mindestens ein Minderjähriger. Die Vorräte gingen zur Neige, und auch wenn die Crew ihr Möglichstes tue, sie sei nicht im Stande einer so bedürftigen Gruppe den nötigen Beistand zu geben und medizinische Hilfe zu leisten. Auch sei der Tanker nicht ausgelegt, Passagiere unterzubringen, sondern habe nur Platz für 21 Mann der Besatzung - die auch endlich nach Hause wolle.

Nicht nur Hilfsorganisationen, auch Handelsschiffe retten regelmäßig Menschen aus Seenot im Mittelmeer

Am Freitag schickte der Kapitän der Times of Malta Videoaufnahmen, die notdürftig abgeteilte Schlafplätze aus Stoff,Tauen und Kartons zeigen. Einer der Migranten habe versucht ins Wasser zu springen, berichtete der Kommandant. Man sei "tief besorgt" über die Lage an Bord, hatte die Reederei mitgeteilt und wisse die Unterstützung des UN-Flüchtlingswerks UNHCR und der Migrationsorganisation IOM zu schätzen, die bereits ihre Besorgnis über die fehlende Antwort der Politik in dieser Krise ausgedrückt haben.

Solche Appelle senden sonst Schiffe der Rettungsorganisationen an die Welt. Dass sie nun fast wortgleich von einem global tätigen Riesen der kommerziellen Seefahrt kommen, ist ziemlich ungewöhnlich. Das Unternehmen zu dem Maersk Tankers gehört, schickt mit seiner Tochter Maersk Line die weltgrößte Containerschiff-Flotte über die Meere. Weniger ungewöhnlich ist es, dass gerade auf dem Mittelmeer zwischen Nordafrika und Europa auch Handelsschiffe immer wieder Flüchtlinge aufnehmen. Das internationale Recht auf See verpflichtet jedes Schiff, bei Notfällen in seiner Reichweite zu helfen. Doch während Schiffe von Rettungsorganisationen wie Sea Watch oder die von dem Künstler Banksy finanzierte, seit kurzem im Mittelmeer eingesetzte Louise Michel viel Aufmerksamkeit in den Medien und der Politik suchen und finden, ist nur wenig bekannt, dass auch Handelsschiffe in den vergangenen Jahren Tausende Menschen aus dem Meer retteten. Der Verband Deutscher Reeder hat schon vor längerer Zeit darauf aufmerksam gemacht, wie groß dadurch die seelische und physische Belastung für die Seeleute immer wieder sei.

Maersk zufolge hatten maltesische Behörden die Etienne um den Rettungseinsatz gebeten. Das bestreite Maltas Regierung nun, wie die Times of Malta berichtet. Und ein Sprecher des Innenministeriums in Valletta habe gesagt, maltesische Behörden hätten den Tanker nie angewiesen, nach Malta zu fahren. Zudem seien die Schiffbrüchigen nicht in der Such- und Rettungszone um Malta aufgenommen worden. Ein Vertreter von Danish Shipping, der Organisation dänischer Schiffseigner, sagte dazu, die Lage der Etienne sei völlig inakzeptabel - das Schiff werde in einen politischen Konflikt verwickelt, mit dem es überhaupt nichts zu tun habe. Auf eine Anfrage der SZ wollte sich die Reederei nicht äußern.

Erst im Mai befand sich auch ein deutsches Schiff in ähnlicher Lage. Die MV Marina der Reederei Klingenberg in Schleswig-Holstein nahm zwischen Tunesien und Malta bei einer Rettungsaktion 79 Menschen auf, maltesische Behörden hatten sie dazu aufgefordert. Doch dann lehnte es Malta ab, das Containerschiff in den Hafen zu lassen, das die Insel seit Jahren regelmäßig anläuft. Die MV Marina nahm Kurs auf die sizilianische Insel Lampedusa, aber die war schon überfüllt mit Migranten. Nach fast einer Woche konnte sie die Schiffbrüchigen dann in Porto Empedocle auf Sizilien von Bord lassen.

Davor hatte die Besatzung einiges auszustehen. Nicht nur waren auch auf der Marina Lebensmittel und Wasser knapp geworden, einigen der Geretteten gingen offenbar auch die Nerven durch, es kam zu Aggressionen, die Mannschaft sah sich genötigt, sich in den Schiffsaufbauten zu verschanzen. Im Fall der Etienne hat es bisher auch nichts genutzt, das 29 Europa-Parlamentarier Maltas Regierung aufgefordert haben, den Migranten zu ermöglichen, den Tanker zu verlassen.

© SZ vom 05.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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