Syrien:Wenn der Wille fehlt

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Für die Türkei sind die Kämpfer der kurdischen YPG Terroristen, für die USA sind sie wichtige Verbündete im Kampf gegen den IS (Archivbild). (Foto: Ugur Can/dpa)

Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien will vor seinem Rücktritt eine neue Verfassung erarbeiten - doch Damaskus blockiert den Prozess weiterhin. Vor allem die Zusammensetzung des Verfassungskomitees birgt Konfliktpotential.

Von Paul-Anton Krüger, München

Vier Jahre und vier Monate hat Staffan de Mistura dem UN-Generalsekretär als Sondergesandter für Syrien gedient. Die Schlacht um Aleppo 2016 hat der schwedisch-italienische Diplomat nicht abwenden können, trotz des Angebots, persönlich die Rebellen aus dem belagerten Ostteil der Stadt herauszuführen, und die noch brutaleren Kämpfe Anfang des Jahres um die östliche Ghouta bei Damaskus auch nicht. Für Idlib allerdings, dem letzten Rückzugsort der Gegner des Regimes von Präsident Baschar al-Assad, einigten sich letztlich Russland und die Türkei auf eine demilitarisierte Zone und damit verbunden de facto auf eine Waffenruhe.

Der absehbar blutigste Waffengang in Syrien ist damit aufgeschoben - und de Mistura wollte die relative Ruhe in Syrien dazu nutzen, den Friedensprozess in Genf wieder in Gang zu bringen. Ein Komitee aus 150 Syrern soll eine neue Verfassung erarbeiten, den Grundstein des "glaubhaften politischen Übergangs", wie ihn die UN-Resolution 2254 vorsieht. Neun Monate hat er darauf verwendet, nachdem er sich mit Russland über Modalitäten geeinigt hatte und am "Kongress der syrischen Völker" im Januar in Sotschi teilgenommen hatte.

Wenn es "einen politischen Willen gibt, dann gibt es keinen Grund, warum sich das Verfassungskomitee nicht im November versammeln sollte", sagte de Mistura, nachdem er am Mittwoch den UN-Sicherheitsrat in New York unterrichtet hatte. Nur wie so oft schon im Syrienkonflikt fehlt es jenseits aller offiziellen Rhetorik genau daran. Der Streit um das "mittlere Drittel" zeigt einmal mehr, woran eine politische Lösung des Krieges bislang scheitert.

Das Verfassungskomitee soll zu einem Drittel aus Vertretern des Regimes bestehen, zu einem weiteren aus Mitgliedern der Opposition. Dazwischen sollen weitere 50 Personen der Zivilgesellschaft das mittlere Drittel bilden, das wiederum politisch ausgewogen sein soll. Das Recht, die Personen zu bestimmen, gestand Russland dem UN-Sondergesandten zu. Doch selbst nachdem der mehrmals die Zusammensetzung der Delegation geändert hat, blockiert die Regierung in Damaskus den Prozess weiter.

Sie sieht sich nicht an die Erklärung von Sotschi gebunden, und auch Russland macht keine Anstalten, Damaskus an den Verhandlungstisch zu bekommen. Dem Vernehmen nach hat Moskau Assad in Aussicht gestellt, dass dem mittleren Drittel zu zwei Drittel regierungsnahe Persönlichkeiten angehören würden. Nur pocht de Mistura auf seine Unabhängigkeit und hat, wie er sagt, eine Liste zusammengestellt, die den Kriterien der Sotschi-Erklärung entspricht: glaubwürdige, neutrale Experten.

De Mistura hat zugleich seinen länger erwarteten Rückzug aus privaten Gründen Ende November angekündigt. Das gibt ihm Freiheit, es darauf ankommen zu lassen: Er könnte zu einer konstituierenden Sitzung des Komitees einladen - es würde vor aller Welt sichtbar, welche Stühle leer bleiben. Zugleich können Russland und das Assad-Regime weiter auf Zeit spielen, bis der UN-Generalsekretär einen Nachfolger ernennt.

Die Regierung will Idlib "wie alle anderen Gebiete Syriens" wieder unter ihre Kontrolle bringen

Offen ist auch, wie lange die Ruhe in Syrien währt. Nach Einschätzung des amerikanischen Syrienbeauftragten, James Jeffrey, haben die Rebellen ihre schweren Waffen aus der 15 bis 20 Kilometer breiten demilitarisierten Zone um Idlib abgezogen. Das deckt sich mit türkischen Angaben; auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte kurz vor Ablauf der Frist vergangene Woche, der Abzug verlaufe "reibungslos". Widersprüchliche Angaben gibt es, ob sich dschihadistische Kämpfer vollständig zurückgezogen haben, maßgeblich die Gruppe Hayat Tahrir al-Scham, die dem Terrornetzwerk al-Qaida nahesteht.

Syriens Außenminister Walid al-Muallim hatte noch am Montag gedroht, die Armee stehe bereit, militärisch zu reagieren, wenn die Vereinbarung nicht eingehalten werde. Lawrow dagegen hatte gesagt, auf ein oder zwei Tage komme es bei der Umsetzung nicht an. Muallim machte auch klar, dass die Regierung Idlib "wie alle anderen Gebiete Syriens" wieder unter ihre Kontrolle bringen will. "Nach Idlib ist unser Ziel die Region östlich des Euphrat", sagte er. Sie wird derzeit von den Syrischen Demokratischen Kräften kontrolliert, ein von den USA unterstütztes Bündnis, in dem die kurdischen YPG-Milizen dominieren. Das allerdings würde zu einer Eskalation führen samt der Gefahr, dass es zu Kämpfen unter Beteiligung der dort stationierten US-Truppen kommt.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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