Syrien:Von Putins Gnaden

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Türkische Militärfahrzeuge an der türkisch-syrischen Grenze, aufgenommen vom türkischen Verteidigungsministerium und datiert auf den 1. November. (Foto: REUTERS)

Erdoğan und Putin haben die Nachkriegsordnung an der Levante festgelegt - und damit die Machtverhältnisse im Nahen Osten neu sortiert. Amerikaner und Europäer? Die schauen einfach zu.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Historisch nennt der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan die Vereinbarung, die Russlands Präsident Wladimir Putin ausgehandelt hat. Er will das Treffen in Sotschi zu Hause als Sieg verkaufen. Die zehn Punkte umfassende Absichtserklärung liest sich nicht wie ein bedeutendes Abkommen; es regelt eine Waffenruhe und gemeinsame Patrouillen in Nordsyrien. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass der 22. Oktober 2019 einmal als der Tag gelten wird, an dem die Hauptphase des Bürgerkriegs in Syrien dem Ende zuging und die Nachkriegsordnung an der Levante vorgezeichnet wurde.

Erdoğan hat de facto die Herrschaft von Präsident Baschar al-Assad über Syrien anerkannt, den er jahrelang mit fast jedem Mittel zu stürzen versuchte. Er akzeptiert, dass die syrische Armee die Kontrolle über die Grenze zur Türkei übernimmt. Zugleich hat sich Erdoğan der territorialen Integrität Syriens verpflichtet. Die Eroberungen der türkischen Truppen in Syrien werden also im Zuge einer von Putin vermittelten politischen Beilegung des Konflikts an Assad zurückgehen, nicht nur die Gebiete zwischen Tel Abjad und Ras al-Ain, in die türkische Truppen jüngst einmarschiert sind, sondern auch Afrin und al-Bab weiter im Westen.

Es bleibt dann noch Idlib, die letzte Hochburg der Rebellen, militärisch überwiegend kontrolliert von radikalen Islamisten und Dschihadisten. Assads Frontbesuch zeitgleich zum Gipfel lässt erahnen, wie das Regime gedenkt, dieses Problem zu lösen - ungeachtet der Tatsache, dass in dem Gebiet drei Millionen Zivilisten leben, die Hälfte von ihnen bereits aus anderen Teilen Syriens vertrieben.

Erdoğan hat nicht viel mehr erreicht, als er schon den USA abgehandelt hatte. Keine Rede ist mehr davon, dass die Türkei einen Streifen von 440 Kilometer Breite und 30 Kilometer Tiefe auf syrischem Boden einnimmt. Bekommen hat er indirekt das Anerkenntnis Putins und des Assad-Regimes, die kurdischen YPG-Milizen als Terroristen zu behandeln, und die Zusage, dass die Türkei künftig 15 Kilometer weit auf syrischem Boden gegen diesen Ableger der PKK vorgehen kann.

Die eigentlichen Gewinner von Sotschi sind Russland und das Assad-Regime. Putin bringt zu Ende, was er mit der Militärintervention 2015 begonnen und politisch durch den Astana-Prozess mit der Türkei und Iran flankiert hat: Er hat Russland wieder als unumgänglichen Machtfaktor im Nahen Osten etabliert. Den sunnitischen Golfstaaten, den Europäern und vor allem den USA hat er die Grenzen ihrer Macht aufgezeigt. Er bindet die Türkei an sich, treibt die Spaltung der Nato voran.

Assad wird kleinere Zugeständnisse machen müssen bei der vom Kreml betriebenen Verfassungsreform. Er ist für Moskau nicht unersetzlich, aber er wird auf absehbare Zeit an der Macht bleiben. Damit schafft sich Putin am Mittelmeer einen Vasallenstaat, in dem allenfalls noch Iran als Konkurrent auftreten kann.

Geschuldet ist das nicht etwa neuer russischer Stärke. Putin hat seine begrenzten Ressourcen clever eingesetzt, er kann die USA weder wirtschaftlich noch militärisch überflügeln. Herbeigeführt hat diese grundlegende Neuordnung der Machtverhältnisse im Nahen Osten ein ignoranter, erratisch handelnder und überforderter US-Präsident. Der vermeintlich größte Dealmaker aller Zeiten hat seine Karten auf den Tisch geworfen, ohne sich nur die geringste Gegenleistung zu sichern.

Die US-Truppen in Syrien und die Tatsache, dass die Kurden ein Drittel des Landes samt den Ölfeldern kontrollierten, waren Amerikas Hebel, um bei der Nachkriegsordnung in Syrien mitzureden. Europa hätte die von Russland geforderte Hilfe zum Wiederaufbau beisteuern können. Das hätte gereicht, um den Kurden Autonomie zu sichern, um Irans Einfluss am Mittelmeer zu begrenzen, womöglich sogar Assads Herrschaft. All das hat Trump im Telefonat mit Erdoğan verschenkt.

Im Nahen Osten hat nun wirklich jeder verstanden, wie wenig Verlass auf die USA unter Trump ist. Der zarengleiche Empfang für Putin in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten spricht Bände. Israel, Amerikas engster Verbündeter in der Region, verhandelt seine Sicherheitsinteressen in Syrien längst mit dem Kreml. Und auch Ägypten fährt seit Jahren zweigleisig. Neben Russland stößt China in das Vakuum. Die Europäer dagegen, für die der Nahe Osten und Nordafrika unmittelbare Nachbarschaft sind, stehen daneben wie der Ritter von der traurigen Gestalt: tatenlos, ideenlos, machtlos.

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer wollte mit dem Vorstoß für eine Sicherheitszone in Nordsyrien einen dringend nötigen Kontrapunkt setzen. Das ist gründlich misslungen. Sie offenbart vielmehr, in welch erbärmlichem Zustand die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik sind, trotz allem Gerede von strategischer Autonomie. Niemand muss sich da wundern, wenn Europa und auch Deutschland in einer für sie eminent wichtigen Region kaum mehr ernst genommen werden.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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