Um den Kalifen ist es still geworden. Der sogenannte Islamische Staat (IS) gerät unter Druck, vom "Führer der Gläubigen" Abu Bakr al-Bagdadi ist aus gutem Grund so gar nichts mehr zu hören.
Aus der Luft bombardiert von Syrern, Russen, Amerikanern und neuerdings den Türken, am Boden beschossen von syrischen Rebellen, kurdischen Milizen und türkischen Panzern: Die IS-Militanten sind auf der Flucht. Bilder, auf denen sie Grenzpfosten niederreißen und die Auflösung der Nahost-Staatenordnung feiern, wird es fürs Erste nicht mehr geben. Selbst die großmäulige Propaganda, illustriert durch grausam inszenierte Morde, lässt nach.
Noch ist sie nicht geschlagen, die Bärtige Internationale, in der Islamisten aus der arabischen Welt, Europa, Russland und sogar den USA kämpfen. Aber wenn der Druck auf die sunnitischen Fundamentalisten anhält, wird der IS mit seinem Anspruch auf ein "Staatsgebiet" wohl verschwinden.
Ein harter Kern der Militanten wird weiterkämpfen, als Kalifat ohne feste Adresse, als Untergrundgruppe. Andere werden sich weniger radikalen sunnitischen Rebellengruppen anschließen, manche nach Hause gehen. Doch damit könnte das Kalifat, das nie eines war, fürs Erste Geschichte sein.
Syrien-Krieg:Assad setzte Chlorgas gegen die eigene Bevölkerung ein
Der Beweis fehlte bisher, Syriens Machthaber wies den Vorwurf stets zurück. Doch nun bestätigt ein Bericht der Uno: Nicht nur die Regierungstruppen, auch der IS verwendete Giftgas.
Widerstand wird nicht verschwinden
Das Problem ist damit nicht gelöst. Selbst der blutrünstige IS steht für etwas: für die marginalisierten Sunniten im Irak. Die wurden nach dem Einmarsch der Amerikaner 2003 und der Machtübernahme in Bagdad durch die Schiiten erst bei den Saddamisten heimisch, dann bei al-Qaida, jetzt beim Islamischen Staat. Sie werden ihren Widerstand gegen die Herrschaft der Schiiten auch in der Nach-IS-Zeit nicht aufgeben. Sie werden sich neu organisieren.
Auch in Syrien werden die überlebenden Radikalen sich anderen sunnitischen Gruppen anschließen (und diese ebenfalls radikalisieren). Am Ende kann man Phänomenen wie dem IS nur mit einem Frieden den Boden entziehen, bei dem alle ethnischen und religiösen Gruppen halbwegs zu ihrem Recht kommen. In Syrien sieht es trotz des Niedergangs des Kalifats aber nicht nach Frieden aus. Im Gegenteil: Durch die Mini-Invasion der Türkei wird das Schlachtfeld noch unübersichtlicher.
Die Türkei steht nun gleichermaßen gegen den IS und gegen die Kurden. Ihre Konfrontation gegenüber Assad hat sie auch nicht ganz aufgegeben, sie ist nur nicht mehr so eindeutig. Mit den Russen und mit den Iranern reden sie in Ankara auch wieder. Aber deshalb brechen sie noch lange nicht mit den USA. Im Krieg gibt es per Definition keine Ordnung, weil er immer auf die gewaltsame Zerstörung der gerade bestehenden Ordnung abzielt.
Chaos und viele unbeantwortete Fragen
Größer als derzeit in Syrien könnte die Unordnung kaum sein. Vor allem ist schwer vorherzusehen, wie weit die von außen mitmischenden Mächte bereit sind zu gehen. Kann die Türkei die Kurden aufhalten auf dem Weg, eine eigene syrische Kurdenregion zu erobern? Kann sie gleichzeitig den IS bekriegen, ohne sich mit Assad aussöhnen zu müssen? Vor allem: Können die Türken all dies tun, ohne den Westen und die USA zu brüskieren?
Oder werden sie tief in den syrischen Sumpf hineingezogen? Der Syrien-Krieg ist noch lange nicht zu Ende. Er geht gerade in eine neue Phase. Messlatte bleibt wohl der libanesische Bürgerkrieg. An dessen Ende hatten so ziemlich alle Beteiligten, von den Kriegsparteien (Christen, Sunniten, Schiiten) bis zu den Nachbarn (Israel, Syrien), oder eigenständige Gruppen wie die Palästinenser mit dem einen oder dem anderen koaliert oder gekämpft. Das dauerte 15 Jahre.