Syrien:Mit voller Härte

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Die russischen Luftangriffe in Syrien folgen einem Muster: Sie richten sich nicht nur gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Talbiseh ist Angriffe gewohnt. Immer wieder hat das syrische Regime von Baschar al-Assad den von gemäßigten Rebellen kontrollierten Ort nördlich der Großstadt Homs bombardiert. Doch diesmal war alles anders. Die Flieger flogen viel höher als die der syrischen Luftwaffe, die Explosionen der Raketen waren viel stärker. Es waren russische Kampfjets. Gemäß Verlautbarungen des Kremls bombardierten sie Ziele der Terrormiliz Islamischer Staat. Doch den gibt es in Talbiseh ebenso wenig wie die mit al-Qaida verbündete Nusra-Front. Das Gleiche gilt für die benachbarten Orte Zafarana und Rastan, die ebenfalls bombardiert wurden. Mindestens 15 Zivilisten seien in Talbiseh getötet worden, berichten Aktivisten des Medienzentrums dort, die mit der deutschen Organisation Adopt a Revolution kooperieren.

Nach den Jets kamen die Hubschrauber des Regimes und warfen wieder Fassbomben ab. Artillerie feuerte Granaten in die von Regierungstruppen umstellte Stadt. Ähnliche Berichte gibt es aus der Provinz Hama, wo die Russen Ziele am Rand von Lataminah bombardierten. Der Ort wird von einer zur Freien Syrischen Armee gehörenden Gruppe kontrolliert, die von den Amerikanern unterstützt wird. Getroffen wurde das Hauptquartier der Gruppe, wie ihr Kommandeur Jamil al-Saleh in einem im Internet verbreiteten Video berichtete. Die nächsten Stellungen des Islamischen Staats sind mehr als 50 Kilometer entfernt; syrische Staatsmedien hatten in den vergangen Tagen noch berichtet, dass sich die Dschihadisten weiter Richtung Raqqa zurückgezogen hätten, ihrer Hauptstadt.

Amerikanische Regierungsquellen sagten der Washington Post, es gebe keine Gründe, an Berichten zu zweifeln, denen zufolge in der Provinz Hama Gruppen getroffen worden seien, die mit der von den USA geführten Anti-IS-Koalition verbündet seien. Die Schäden durch Russlands Luftangriffe seien "nicht gering", sagte ein anderer Beamter der New York Times.

Sucht man nach einem Muster in den 20 Luftangriffen am Mittwoch, die auch Zielen in der Provinz Latakia galten, schält sich heraus: Die russischen Kampfjets attackierten überwiegend gemäßigte Rebellen-Gruppen, die gegen Gewaltherrscher Baschar al-Assad kämpfen, Moskaus Verbündeten. Diese Gruppen kämpfen aber ebenso gegen den Islamischen Staat, der ja vorgeblich das Ziel der russischen Bomben ist. In den Provinzen Hama und Latakia ist das Regime jüngst in Bedrängnis geraten.

Russland flog am Donnerstag erneut etwa 30 Angriffe, auch nahe Dschisr al-Schughur, wo ein Bündnis islamistischer Rebellengruppen unter Beteiligung der Nusra-Front den alawitischen Kerngebieten in der Provinz Latakia gefährlich nahegekommen ist. Folglich teilte die Regierung in Moskau mit, das Bombardement richte sich "generell gegen eine Reihe bekannter Islamistenorganisationen", während es am Vortag noch hieß, es gehe "ausschließlich" gegen den Islamischen Staat. Russland leistet dem Anschein nach also eher Luftnahunterstützung für die überdehnten Truppen des Assad-Regimes, was Moskau nicht einmal in Abrede stellt.

Präsident Wladimir Putin stört es dabei offenkundig nicht, dass sich das Regime über eine von Moskau mitgetragene Resolution des UN-Sicherheitsrates vom Januar 2014 hinwegsetzt. Sie verbietet die unterschiedlose Anwendung von Gewalt in bewohntem Gebiet sowie ausdrücklich den Einsatz von Fassbomben. Organisationen wie Human Rights Watch werfen dem Regime vor, Kriegsverbrechen zu begehen, indem es systematisch zivile Gebiete in von der Opposition gehaltenen Regionen bombardiert, um sie zu entvölkern.

Putin hat allerdings vor der UN-Generalversammlung klargemacht, dass er zwischen den verschiedenen Gruppen der Assad-Gegner nicht differenziert: Er sagte über die "sogenannte gemäßigte syrische Opposition, die vom Westen unterstützt wird", sie werde "bewaffnet und trainiert, um überzulaufen und sich dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen". Experten und westliche Politiker warnen, dass eine offene Intervention Russlands an der Seite des Regimes genau dies zur Folge haben wird.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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