Syrien:Meine Braut, die Gasflasche

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Viele Bürger bewahren sogar in Zeiten des Krieges ihren Humor.

Von Paul-Anton Krüger

Zu den bewundernswerten Eigenschaften vieler Syrer gehört es, dass sie ungeachtet der furchtbaren Situation in ihrem zu weiten Teilen vom Krieg schwer gezeichneten Land den Humor nicht verloren haben - auch wenn er oft tiefschwarz und bittersüß ist, wie arabischer Kaffee. Gerade machen in den sozialen Medien sarkastische Beiträge Furore, die den Mangel an Gasflaschen aufs Korn nehmen. Die blauen Stahlzylinder verwenden die Menschen zum Kochen, aber auch zum Heizen im selbst an der sonnenverwöhnten Levante bitterkalten Winter.

Tausende Male abgerufen und geteilt wurde inzwischen ein Video, in dem ein Mann eine in ein Brautkleid gehüllte Gasflasche zu heiraten vorgibt. Er schlägt den weißen Schleier zurück, streift einen Ring über das Ventil, als wäre es die Hand der Braut, küsst statt der Wangen den Schutzkragen, der zugleich als Griff dient für den Druckzylinder. Im Hintergrund ist das Trillern von Frauen zu hören und ein Zaffra-Lied, wie es üblich ist bei den Prozessionen orientalischer Hochzeiten. "Trag sie, los, trag sie!", rufen die Leute, und der Bräutigam hebt die in Tüll gehüllte Gasflasche in die Luft und wiegt sich mit ihr im Takt der Musik.

Auch kursieren Bilder von Verlobungsringen, die statt eines Steins eine Gasflasche in der Fassung tragen oder die syrische Variante der gerade im Internet beliebten Ten-Year-Challenge, bei der Nutzer Collagen aus einem Bild von sich von heute und von vor zehn Jahren hochladen, um ihre Entwicklung zu dokumentieren. Bei den Syrern steht 2009 eine blaue Gasflasche vor einer Wand, 2019 dagegen ist nur nackter Beton zu sehen.

Seit November sind die begehrten Zylinder immer schwerer zu bekommen, die der Staat eigentlich subventioniert, wie in vielen anderen arabischen Ländern auch. Das Parlament hat sich mit der Krise befasst, es gibt in manchen Teilen Syriens Proteste - auch in Gegenden, die fest hinter Präsident Baschar al-Assad stehen. Selbst in Damaskus, weithin unzerstört, fehlt es an Strom, der ebenfalls zum Heizen verwendet wird. Die Lebensbedingungen sind für viele Menschen schlechter als je zuvor, obwohl sich Assad inzwischen als Sieger des Krieges betrachtet und schon von Wiederaufbau spricht.

Schuld an der Gasknappheit seien die Sanktionen des Westens, sagte denn auch Ölminister Ali Ghanem. Syrien ist angewiesen auf Flüssiggasimporte, seit die Anlagen im Land bei Kämpfen zerstört worden sind. 36 Tankschiffe hätten Syrien versorgen sollen, sagte Ghanem, maßgeblich aus Russland. Gekommen seien aber nur zehn. Selbst im Parlament musste sich die Regierung allerdings fragen lassen, warum sie dagegen nichts tue.

Eine Havarie verschärft die Lage noch: Nahe der Straße von Kertsch brennen seit Montag zwei Gastanker, die Maestro und die Candy, einst Venice. Der Unfall mit 20 Toten ereignete sich wohl, als die Mannschaften trotz Sturms versuchten, zuvor im russischen Temrjuk getanktes Gas von einem auf das andere Schiff umzupumpen. Beide hatten ihre Transponder abgeschaltet und stehen auf einer Liste des US-Finanzministeriums mit 35 Schiffen, die daran beteiligt sein sollen, die US-Sanktionen zu umgehen. Die Syrer werden sich noch länger an ihrem Humor wärmen müssen.

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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