Syrien:Die Hoffnung schwindet

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Eine syrische Familie fährt auf dem Motorrad durch Daraa im Süden des Landes. Die Gegend befindet sich in der Hand von Rebellen. (Foto: Mahmoud Irshaidat/AFP)

Scheitern die Friedensgespräche? Die Positionen liegen jedenfalls weit auseinander, und die Opposition setzt ihre Teilnahme aus.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Es zeichnet den gewandten Vermittler und Diplomaten aus, auch in der schwierigsten Situation noch das Gute zu sehen. So trat am Montagabend in Genf der UN-Sondergesandte für Syrien vor die Presse, um zu erklären, dass es "einen wesentlichen Fortschritt" gebe: Opposition und Regierung stimmten jetzt überein, dass "das Wort 'politischer Übergang' das ist, was auf der Tagesordnung steht". Da enden dann aber schon die Gemeinsamkeiten, wie auch Staffan de Mistura eingestand. Die Diskussion konzentriere sich jetzt darauf, was darunter zu verstehen sei, sagte er.

Das Regime von Baschar al-Assad will maximal zugestehen, die jetzige Regierung auf eine breitere Basis zu stellen. "Ein paar unbedeutende Ministerien mit Assad genehmen Oppositionellen zu besetzen", wie es ein in die Gespräche eingeweihter westlicher Diplomat formuliert. Die Opposition dagegen fordert eine Übergangsregierung mit vollen exekutiven Befugnissen, wie sie in der UN-Resolution und anderen Dokumenten vorgesehen ist, die den Rahmen für die Genfer Gespräche bilden. "Die Opposition ist bereit, über fast alles zu reden", sagt der Diplomat, "solange Assad und sein engster Zirkel abgelöst werden."

Allerdings hat de Mistura derzeit ganz andere Sorgen: Er hat alle Hände voll zu tun, ein Scheitern der Verhandlungen zu verhindern. Am Montag hatte die im Hohen Verhandlungskomitee (HNC) versammelte Opposition verkündet, sie setze ihre Beteiligung auf unbestimmte Zeit aus. Sie protestiere so dagegen, dass die Regierung die Waffenruhe breche und humanitären Helfern den Zugang zu vielen Gebieten verwehre. Die Gefechte um Aleppo werden schon länger wieder mit großer Härte geführt, auch bei Hama und Homs, in Vororten von Damaskus und in der Provinz Latakia wird wieder gekämpft.

Wer wo zuerst die Waffenruhe gebrochen hat, ist oft kaum noch nachzuvollziehen

Am Dienstag schließlich traf ein Luftangriff einen Markt in der Stadt Maarat al-Numan in der Provinz Idlib. Nach Angaben von Ärzten wurden mindestens 40 Menschen getötet. Wer wo zuerst die Waffenruhe gebrochen hat, ist oft kaum noch nachzuvollziehen, es gibt widersprüchliche Darstellungen. In Aleppo provozierte die von der Feuerpause nicht umfasste Nusra-Front; die Regierung macht wie früher schon keinen Unterschied zwischen ihr und anderen Rebellen-Gruppen, von denen sich manche wiederum an Operationen des syrischen Ablegers des Terrornetzwerks al-Qaida beteiligten. In Maarat al-Numan dagegen hatten die Menschen zuletzt vier Wochen lang gegen die Nusra-Front protestiert, um die Freilassung gefangener Rebellen zu erreichen. Zehn vorwiegend islamistische Rebellengruppen hatten bereits am Montag eine Offensive gegen die Armee angekündigt und deklarierten dies als Reaktion auf Verstöße der Regierungstruppen gegen die Waffenruhe.

Politisch heikel für die Opposition ist dies vor allem wegen der Beteiligung der beiden mächtigen Milizen Ahrar al-Sham und Jaish al-Islam, die in der Genfer Delegation vertreten sind; Mohammed Allousch ist Anführer von Jaish al-Islam und zugleich Chefunterhändler des HNC. Erbost zeigten sich einige Rebellenführer über die USA, die verlangten, dass die Opposition am Tisch bleibe und nicht genug dafür tue, die Waffenruhe durchzusetzen.

De Mistura bezeichnete die Kämpfe als "besorgniserregend", wies aber auch darauf hin, dass die Waffenruhe in vielen Teilen des Landes halte. Er kritisierte, dass die Hilfe für viele belagerte Gebiete zu langsam vorangehe; dem größten Teil dieser Gebiete schneiden Regierungstruppen die Versorgung ab. Diplomaten klagen schon länger, das Regime blockiere und attackiere gezielt Regionen, die von islamistischen Milizen gehalten würden, um die Opposition zu spalten. In Genf zeige sich jetzt, dass es in der Opposition unterschiedliche Ansätze gebe, wie mit der Situation umgehen sei - zugleich habe sie die Gespräche nicht abgebrochen, sondern entschieden, zumindest mit einigen Vertretern zu bleiben. Nichts käme Assad gelegener, als wenn die Opposition die Gespräche platzen lässt. Laut de Misturas wird sie in ihrem Hotel "technische Gespräche" mit ihm führen. Am Freitag will er sich zum weiteren Vorgehen äußern.

Die Situation erinnert an Januar, als die erste Gesprächsrunde wegen der syrisch-russischen Offensive auf Aleppo unterbrochen wurde. Erst eine Einigung auf höchster Ebene zwischen Russland und den USA verschaffte der Waffenruhe Geltung und ermöglichte eine Fortsetzung der Verhandlungen. Moskau und Washington sollen nun laut de Misturas Wunsch erneut ein Sondertreffen der Internationalen Syrien-Unterstützergruppe (ISSG) einberufen.

Bereits in der Nacht zum Dienstag telefonierten die Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin miteinander. Sie seien sich einig gewesen, dass die Waffenruhe beibehalten und die Verhandlungen fortgesetzt werden müssten, hieß es. Putin betonte laut dem Kreml, die moderate Opposition müsse sich klar von der Nusra-Front distanzieren und die Grenze zur Türkei dichtgemacht werden. Obama wies darauf hin, dass der Konflikt nur beendet werden könne, wenn es politische Fortschritte gebe. Nach Durchbruch hört sich das nicht an.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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