Syrien:Assads Truppen rücken in den Osten von Aleppo ein

Lesezeit: 2 min

Die Rebellen stehen vor der Niederlage, Zehntausende Menschen fliehen vor den heftigen Angriffen, aber auch vor den Soldaten des Regimes.

Von Moritz Baumstieger, München

Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad haben in der geteilten Bürgerkriegsstadt Aleppo massive Geländegewinne erzielt und drohen die Rebellen aus dem von ihnen gehaltenen Ostteil zu vertreiben. Der Regierungsarmee und ihren Verbündeten gelang es am Sonntagabend zunächst, eine Schneise in das von den Aufständischen gehaltene Gebiet im Osten der Stadt zu schlagen und es in zwei Teile zu spalten. Am Montagvormittag dann eroberten die Truppen des Regimes die Viertel Al-Sachur, Scheich Chodr und Al-Haidarija, sie kontrollieren nun den gesamten Nordosten der Stadt. Die Aufständischen verloren somit binnen 48 Stunden mehr als ein Drittel des von ihnen gehaltenen Stadtgebietes, "das ist die schwerste Niederlage der Rebellen, seit sie Aleppo 2012 eingenommen haben", sagte Rami Abdel Rahman, Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London, die auf ein Informantennetzwerk in Syrien zurückgreifen kann.

Dem Durchbruch der Regimekräfte gingen wochenlange heftige Bombardements voraus. Nach einer gescheiterten Waffenruhe Anfang Oktober hatte Assad verkündet, das gesamte syrische Staatsgebiet zurückerobern zu wollen. Vor zwei Wochen startete seine Armee ihre Offensive auf den Ostteil der Stadt, in dem sich sowohl moderate, als auch islamistische Gruppen verschanzt haben. Dabei wird die Armee von Russland und einer internationalen schiitischen Koalition unterstützt, aufseiten des Regimes kämpfen in Aleppo unter anderem Kräfte der Hisbollah aus Libanon, Milizen aus Iran, dem Irak und Afghanistan. Yasser Youssef, ein Sprecher der islamistischen Zinki-Rebellen im Osten Aleppos, kommentierte die jüngsten Verluste so: "Vor fünf Jahren war das Regime am Ende, heute kämpfen wir gegen Armeen und Milizen aus allen Winkeln der Erde."

Im Ostteil Aleppos befinden sich nach UN-Angaben weiter 250 000 Menschen, die von jeglicher Versorgung abgeschnitten sind, seitdem die Armee im Juli einen Belagerungsring um die Rebellenviertel zog. Die medizinische Versorgung war nach gezielten Bombardierungen der improvisierten Krankenhäuser zuletzt weitgehend zusammengebrochen, sauberes Trinkwasser gibt es schon seit Monaten nicht mehr, die Preise für Nahrungsmittel explodierten. In den vergangenen Wochen hatte das Regime mit seinem Verbündeten Russland der Bevölkerung Ostaleppos immer wieder "humanitäre Korridore" zur Flucht geöffnet, die von den Zivilisten jedoch nicht angenommen wurden. Das Regime beschuldigte deshalb islamistische Aufständische, die Bewohner gewaltsam an der Flucht zu hindern.

Im Osten Aleppos fliehen die Bewohner vor den Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und den vorrückendenen Regierungstruppen. (Foto: Abdelrhman Ismail/Reuters)

In den vergangenen Tagen nutzten nun Tausende das Chaos der Kämpfe zur Flucht. Die Angaben über ihre Zahl gehen jedoch weit auseinander. Während Russland und das Regime von etwa 2500 bis 3000 sprechen, geht die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte von bis zu 10 000 Flüchtlingen aus. Eine ähnliche Zahl nannte auch Salih Muslim der Süddeutschen Zeitung, der Vorsitzende der syrischen Kurdenpartei PYD. Sie ist in Aleppo eine Zweckallianz mit dem Assad-Regime eingangen, ihre Kämpfer kontrollieren das von Kurden bewohnte Viertel Scheich Maqsud, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den nun von der Armee eroberten Gebieten befindet.

Der Bürgerkrieg steht nach mehr als fünf Jahren vor dem Wendepunk

"6000 bis 10 000 Menschen sind in unser Gebiet gekommen, weil es dort sicher ist", so Muslim. "Unsere Kämpfer und die Bewohner nehmen die Flüchtlinge auf und versorgen sie." Nach Berichten von Korrespondenten verschiedener Agenturen fliehen Zivilsten aber auch in Richtung Süden, in die weiter von den Rebellen gehaltenen Viertel. Dort ist nach Angaben von Einwohnern "das totale Chaos" ausgebrochen. Das Bombardement durch die Armee geht ununterbrochen weiter, und auch am Boden versuchen Assads Kräfte, weiter vorzurücken. Einige Rebellengruppen sind laut Beobachtern in Auflösung begriffen und versuchten zu fliehen, weitere Geländegewinne der Armee seien deshalb in den kommenden Tagen wahrscheinlich.

Die vollständige Einnahme Ostaleppos durch das Regime könnte einen Wendepunkt in dem seit fünf Jahren andauernden Bürgerkrieg darstellen, der bisher über eine halbe Millionen Opfer forderte: Die einstige Wirtschaftsmetropole im Norden Syriens ist die letzte Großstadt, die Aufständische noch in Teilen kontrollierten. Die verbleibenden ländlichen Gebiete unter ihrer Kontrolle wären nach Ostaleppos Einnahme langfristig nur noch schwer zu halten.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: