Südtirol:Alles Italiener, oder?

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Wie zwei fehlende Wörter einen alten Streit entflammen.

Von Oliver Meiler

In Südtirol braucht es nie viel, und alles liegt wieder offen da, die ganze Geschichte, die alten Wunden. Die politischen Scharfmacher auf beiden Seiten sorgen schon dafür, dass nie Ruhe einkehrt zwischen "tedeschi" und "italiani" - so nennen sie sich gegenseitig, obschon in diesem schönen, bergigen, auch wirtschaftlich üppig blühenden Norden des Landes alle Italiener sind. Oft dreht sich der Streit um Sprachfragen, um das Deutsche und das Italienische, manchmal auch noch um das Ladinische, um das Identitäre und Kulturelle also, man hat sonst nicht viel zum Streiten. So ist das auch diesmal.

Im Landtag von Bozen, dem Südtiroler Parlament, haben sie vor einigen Tagen bei der Verhandlung eines Gesetzes per Mehrheit beschlossen, die italienische Bezeichnung für Südtirol und Südtiroler aus dem Text zu nehmen: "Alto Adige" und "altoatesini", einfach rausgestrichen. Stattdessen steht da nun "Provinz Bozen" und "Bewohner der Provinz Bozen". Die Ratsmitglieder der Südtiroler Volkspartei, die noch immer die klar größte Fraktion stellt, taten sich dafür mit der Südtiroler Rechten zusammen.

Seither ist die Aufregung groß, vor allem südlich von Bozen. Die Zeitung La Stampa schreibt, Wörter zu löschen, sei wie Mord. Die Zeitung La Repubblica hält den Entscheid für "ein Spiel mit dem Feuer", da würden Trümmer der europäischen Geschichte umgedreht, nachdem über die Jahrzehnte hinweg so viel erreicht worden sei bei der Versöhnung, der Überwindung von Extremismen. Doch so richtig zusammengewachsen sind sie eben nie, die "Deutschen" und die "Italiener" Südtirols. Ohne Proporzregeln bei der Vergabe von Posten und Privilegien geht es noch immer nicht.

Auch ein Jahrhundert nach dem Vertrag von Saint-Germain zählt, wiegt, misst man sich ständig und erinnert sich gegenseitig an alte Qualen. Die Südtiroler Rechte klagt noch immer über die forcierte "Italianisierung" unter Benito Mussolini, dem Faschistenführer. Auch die Bezeichnung "Alto Adige" würden sie gerne in der finsteren Epoche verorten, dabei ist sie viel älter. Die italo-italienischen Rechten wiederum, vor allem die postfaschistischen Fratelli d'Italia unter ihnen, kommen gerne auf allen Pferden dahergaloppiert, wenn die Gegenseite mal wieder damit droht, italienische Ortsnamen von Schildern auf Wanderwegen zu entfernen.

Die Populisten nähren sich nun mal gegenseitig mit ihrem drolligen Furor. Die jüngste Provokation ist wahrscheinlich verfassungswidrig. Im Artikel 116 des italienischen Grundgesetzes, der von den fünf Regionen mit Sonderautonomie handelt, steht der volle Name "Alto Adige/Südtirol". Die Regierung in Rom ließ ausrichten, sie fechte das Provinzgesetz an, so es nicht umgehend korrigiert und an die Verfassung angepasst werde.

Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher versucht unterdessen, die Geschichte mit recht deutlichen Worten zu entschärfen. Da sei ein "Pfusch" passiert, sagte er in einem Interview. Die neue Namenregelung sei weder opportun noch legal. Sein Land sei nämlich ein Modell für friedliches Zusammenleben, ein kleines Europa. "Wer sich wie ein Taliban verhält, der richtet nur Schaden an und löst Ekel aus." Ob sich da wohl jemand angesprochen fühlt?

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise den Versailler Vertrag erwähnt. Richtig ist im Zusammenhang mit der Abtretung Südtirols von Österreich (damals als Deutschösterreich) an Italien der Vertrag von Saint-Germain.

© SZ vom 16.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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