Südafrika:Katz-und-Haus-Spiel

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Beengt, provisorisch, aber wenigstens ein bisschen Schutz: Szene aus einer ungenehmigt errichteten Siedlung etwa 30 Kilometer von Kapstadt entfernt. Darüber, wie das knappe Land am Kap gerechter verteilt werden könnte, wird schon seit Langem diskutiert. In Sicht ist eine Lösung allerdings nicht. (Foto: Rodger Bosch/AFP)

In Südafrika toben Kämpfe um knappen Wohnraum. Vor allem in Kapstadt wissen die Menschen kaum, wo sie leben sollen. Viele nehmen deshalb das Recht selber in die Hand, und auch der Staat hat seine ganz eigenen Interessen.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Patricia legt die Hand über ihren runden Bauch und sagt, es könne jederzeit passieren, sie sei im neunten Monat. Sie steht auf einem Feld im Norden von Kapstadt und hält ein Feuerzeug gegen einen trockenen Busch. Sie ist dabei, Platz zu schaffen, für eine neue Hütte, für ihr neues Leben. Ein paar Meter weiter tragen ein paar Freunde Eimer mit Sand herbei, den sie auf dem abgebrannten Boden verteilen, für eine Art Fundament. Ein kleiner Pick-up bringt ein paar schiefe Wände vorbei, die dann zu einer schiefen Hütte zusammengenagelt werden.

"Das hat mich 9000 Rand gekostet", sagt Patricia, umgerechnet 600 Euro, was etwa einem guten Durchschnittseinkommen entspricht, wenn man überhaupt Arbeit hat. Patricia hat keine mehr, dafür ist sie schon zu weit. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, "ich weiß nicht, ob das legal ist, was ich hier mache", sagt sie. Letztlich kennt sie die Antwort selber.

Im März wurde die triste Fläche zum ersten Mal besetzt, ein paar Tage später kam zum ersten Mal die Polizei und riss alles ab. Am nächsten Morgen waren die Besetzer wieder da und bauten die Hütten wieder auf. Seit Wochen geht das so, es ist ein Katz-und-Haus-Spiel. Eines, das in Südafrika gerade überall gespielt wird, in jeder halbwegs größeren Stadt. "Land invasions" nennt man es hier, allein in Kapstadt 145 seit Jahresbeginn, Tausende sind es im ganzen Land. Mal sind es Menschen wie Patricia, die sonst nicht wissen, wohin mit sich. Mal wirkt es wie es ein politisch organisierter Protest. Und manchmal scheint den Menschen einfach die Geduld auszugehen. "Ich habe vor 21 Jahren den ersten Antrag auf eine Sozialwohnung gestellt", sagt eine Frau, die ein paar Meter neben Patricia ihre Bretter zusammenklopft.

Seit dem Ende der Apartheid diskutiert Südafrika darüber, wie das Land am Kap gerechter verteilt werden könnte. Die Diskussionen drehten sich meistens um die riesigen Farmflächen, die ganz überwiegend in der Hand von Weißen sind. Es will in Südafrika aber kaum noch jemand Farmer werden; die Menschen drängen in die Städte, hier sehen sie ihre Zukunft, auch wenn sie nur auf einem Fetzen Land hausen können. Schwarze machen 79 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung aus, ihnen gehören in den Städten sieben Prozent des Landes, die Weißen haben einen Bevölkerungsanteil von neun Prozent, ihnen gehören aber 11,4 Prozent des Landes in den urbanen Zentren. Auf dem Land ist das Ungleichgewicht noch deutlicher.

Es geht auch um die Frage, wer zuerst ins heutige Südafrika kam, wer glaubwürdig wirkt

Seit Ende vergangenen Jahres debattiert der regierende ANC über eine Landenteignung ohne Entschädigung. Der Beschluss wurde auf dem Parteitag im Dezember mit großer Verve gefasst, seitdem ist es etwas ruhiger geworden, es wird in Kommissionen diskutiert.

Der ANC verhalte sich in der Landfrage "wishy-washy", sagt Julius Malema, der Chef der radikalen Economic Freedom Fighters, die gerne alles Land beschlagnahmen und in Staatsbesitz überführen würden. Solange der ANC noch mit sich selber ringt, ob er tatsächlich zulassen will, dass Land ohne Kompensation enteignet werden kann, solange ruft Malema seine Anhänger dazu auf, einfach schon zur Tat zu schreiten. "Die Leute müssen das Land besetzen", sagte Malema neulich sogar im Parlament. Und sie tun es.

Der Staat reagiert meistens mit großer Härte, mit Hunden, Wasserwerfern und Tränengas. Aber nicht immer sind die Fronten klar, nicht immer stehen Besetzer und Polizisten einander gegenüber. Es ist ein Konflikt mit mehreren Fronten, Schwarz gegen Weiß gegen Polizei gegen "Coloured". Es geht auch um die Frage, wer zuerst ins heutige Südafrika kam. Wer den moralisch glaubwürdigsten Anspruch auf Land gelten machen kann.

"Wir sind die Abkommen der Ureinwohner", sagt Oscar Lyons. Er trägt eine Ray-Ban-Sonnenbrille, ein schwarzes Jackett und sehr schicke Turnschuhe eines deutschen Herstellers. Er steht an einer Straßenecke von Mitchells-Plain, einem jener Gebiete in Kapstadt, in denen die Gangs täglich daran arbeiten, dass die Stadt die siebthöchste Mordrate der Welt hat. Dennoch gibt es einen regen Zuzug. Lyons führt zu einem Platz, an dem nach seinen Aussagen immer wieder schwarze Neuankömmlinge ihre Hütten aufbauen. Neuankömmlinge, die eine andere Hautfarbe haben als die meisten anderen Einwohner in diesem Bezirk, in dem fast nur Coloureds wohnen. "Das ist von der ANC-Regierung gesteuert, sie versuchen, unsere Viertel zu übernehmen", sagt Lyons. Er hat zusammen mit einigen Freunden eine kleine Bürgerinitiative gegründet, deren Namen sich grob mit "Wir haben die Schnauze voll" übersetzen lässt.

Kapstadt ist in 20 Jahren um zwei Millionen Menschen gewachsen, viele leben in Wellblechhütten

Lyons gehört zu den Coloured, einer Kategorie, in die das Apartheidregime jene steckte, die gemischte Vorfahren hatten: weiße Europäer, schwarze Afrikaner und Ureinwohner. Es klingt wie die Verkörperung der Regenbogennation. Letztlich sind die Coloureds in einer schwierigen Situation, gehören nie richtig dazu. "In der Apartheid waren wir zu schwarz, jetzt sind wir zu weiß", sagt Lyons. Sich nun als Ureinwohner neu zu erfinden ist letztlich ein Versuch, die eigene Ausgangsposition zu verbessern, in der Diskussion um die Landreform, die sich in Südafrika nicht nur darum dreht, was gerecht wäre. Sondern wer eigentlich zuerst da war.

Historisch ist die Sache relativ unstrittig. Zuerst waren die Khoisan da, recht hellhäutige Buschmänner mit schmalen Augen, die vor allem in der Region von Kapstadt siedelten. Etwa zwischen 500 bis 1000 nach Christus kamen die ersten Schwarzafrikaner aus dem Norden, Bantu-Stämme, die sich vor allem an der Ostküste niederließen. Die ersten holländischen Siedler kamen erst 1652 am Kap an - als Letzte. Das Apartheidregime verbreitete später dennoch die Mär, man habe ein leeres Land vorgefunden, das niemand gehörte.

"Wir sind die Söhne der Koi", sagt Oscar Lyons noch einmal. Was er damit meint: Wir waren zuerst da, wir haben ein Recht auf mehr Land. Jede Gruppe versucht, im Verteilungskampf die beste Position zu erreichen. Letztlich sitzen sie im selben Boot, warten seit Jahren auf bezahlbaren Wohnraum. Der ANC hat seit dem Ende der Apartheid drei Millionen kleine Häuser gebaut, was nicht wenig ist, aber eben doch nicht genug in einem Land mit 50 Millionen Einwohnern, von denen viele in die Städte drängen.

Kapstadt hat seine Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren in etwa verdoppelt, auf vier Millionen Menschen. Hunderttausende von ihnen leben in Wellblechhütten, vielen reicht es nicht mal dafür. "Unsere Leute leben wie die Tiere", sagt Lyons. Man muss ihn nicht lange fragen, wen er für die Misere verantwortlich macht. "Nur ein toter Politiker ist ein guter Politiker", steht auf seinem T-Shirt.

© SZ vom 13.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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