Südafrika:Bitte keine Korruption

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Analoger Protest mit digitalem Hashtag: Ein kleiner Junge in Pretoria fordert den Sturz von Präsident Zuma und sorgt sich um die Zukunft. (Foto: Jacques Nelles/AP)

Lange haben die Südafrikaner mit großem Gleichmut ertragen, dass sich ihre Regierenden vor allem selbst bereichern wollen. Sehr viele sagen aber nun: Genug ist genug.

Von Tobias Zick

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei es vor allem das alte, das privilegierte Südafrika, das sich hier versammelt hat. Überdurchschnittlich viele weiße Gesichter, überdurchschnittlich alt: Nein, das ist kein ganz repräsentativer Querschnitt durch die sogenannte Regenbogennation. Ein gefundenes Fressen also für die Anhänger des Präsidenten, diesen Demonstranten, die hier im Park hinter dem Parlament in Kapstadt seinen Rücktritt fordern, in hämischen Twitter-Botschaften allerlei vorzuwerfen - vom Festhalten an "weißen Privilegien" bis hin zu "Rassismus". Doch dann ergreift Mpho Tutu das Mikrofon, Priesterin und prominenteste Tochter des Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu, der einst als anglikanischer Erzbischof das Apartheid-Regime bekämpfte: etwa indem er 1989 von der St.-George-Kathedrale aus, wenige Hundert Meter von hier, einen Protestmarsch durch die Stadt anführte, gut 20 000 Menschen, mit Bannern der damals verbotenen Befreiungsbewegung ANC (African National Congress). Desmond Tutu, inzwischen 84 Jahre alt, äußert sich heute nur noch selten öffentlich zur Politik seines Landes; was er vom ANC hält, der seit nunmehr zwei Jahrzehnten das Land regiert, ist bekannt. Vor gut einem Jahr etwa sagte er: "Ich schäme mich, diesen Haufen von Speichelleckern meine Regierung nennen zu müssen."

Jetzt spricht seine Tochter: "Die Apartheid hat uns unsere Vergangenheit geraubt, jetzt droht die Korruption, uns unsere Zukunft zu rauben." Und fügt dann, unter dem Jubel der Menge, hinzu: "Wir wählen unsere Anführer - und wir können sie auch wieder wegschicken."

Der eine will Atomkraftwerke, die andere ein paar Jets. Der Präsident baut sich sein Schloss

Öffentliche Proteste sind in Südafrika nichts Ungewöhnliches, aber was sich an diesem Mittwoch, einem nationalen Feiertag, der eigentlich im Zeichen der Versöhnung steht, in mehreren Großstädten des Landes Bahn bricht, hat eine neue Qualität. Seit gut einer Woche kocht der Volkszorn, auf Twitter hagelt es Aufrufe unter dem Motto "Zuma muss weg." Auslöser war die überraschende Entscheidung des Präsidenten am Mittwoch vergangener Woche, den international angesehenen Finanzminister Nhlanhla Nene zu entlassen und durch einen unbekannten ANC-Hinterbänkler zu ersetzen - ohne nähere Begründung. Doch die Gründe reimten sich die wütenden Bürger selbst zusammen. Nenes Ansehen gründete vor allem darauf, dass er den Staatshaushalt immer wieder gegen Begehrlichkeiten von Zuma und dessen Entourage verteidigt hatte. Er hatte sich gegen Pläne des Präsidenten gesperrt, russische Atomreaktoren für mehr als 60 Milliarden Euro bauen zu lassen; er hatte der Chefin der nationalen Fluggesellschaft die Anschaffung neuer Jets auf der Basis dubioser Verträge untersagt - womit der Finanzminister unweigerlich den Unmut des Präsidenten auf sich zog: Schließlich ist die Airline-Vorsitzende eine enge Vertraute Zumas; so eng, dass der sich kürzlich genötigt sah, Gerüchte dementieren zu lassen, die beiden verbinde "eine Romanze und ein gemeinsames Kind".

Die Staatsanwaltschaft stellte 700 Ermittlungsverfahren gegen Jacob Zuma einfach ein

Nun hat Zuma seit Beginn seiner Präsidentschaft 2009 reichlich Routine darin entwickelt, Verbündete auf lukrative Posten zu hieven und Widersacher abzusägen. Doch diesmal hatte er die Folgen offenbar unterschätzt. Die Entlassung des Finanzministers erschütterte die Aktienmärkte, der Wert der Landeswährung Rand brach um fast neun Prozent ein, und selbst langjährige Verbündete stimmten in den Sturm der Kritik ein. Zwelinzima Vavi etwa, der frühere Vorsitzende des Gewerkschafts-Dachverbandes Cosatu, forderte Zuma offen zum Rücktritt auf: Eine "kleine Elite" sei dabei, das "moralische Rückgrat unserer Gesellschaft zu zerfressen" und habe "viele Südafrikaner mit ihrem korrupten Verhalten eingeschüchtert. Das nehmen wir nicht länger hin." Am Sonntagabend dann folgte die nächste Volte: Zuma enthob den Hinterbänkler namens David van Rooyen wieder des Amtes und ersetzte ihn durch den erfahrenen Pravin Gordhan, der zuvor schon fünf Jahre dem Land als Finanzminister gedient hatte. Die Aktienmärkte beruhigten sich ein wenig, doch die Rücktritts-Aufrufe schallten weiter, und sie gipfelten in den Demonstrationen an diesem Mittwoch. "Das Chaos um den Finanzminister war für mich nur der letzte Auslöser", sagt Mpho Raholane, 29, studierte Politologin und Vertriebsleiterin in einer Filmfirma. Sie hat sich den Twitter-Hashtag "#ZumaMustFall" als Schriftzug auf Brusthöhe quer über das T-Shirt geklebt. Zumas Präsidentschaft sei ein einziger Skandal, sagt sie; der ANC habe schon damals mit seiner Ernennung gezeigt, dass die Partei ihren "moralischen Kompass" verloren habe.

Ein Parteitag hatte den Amtsvorgänger Thabo Mbeki, einen Erzrivalen von Zuma, 2008 zum Rücktritt gedrängt - im Jahr darauf wurde Jacob Zuma Präsident, kurz nachdem die Strafverfolgungsbehörde mehr als 700 Ermittlungsverfahren wegen Korruption gegen ihn hatte fallen lassen. "Sie wussten, dass sie einen Kriminellen zum Präsidenten machen", sagt die junge Frau, "und jetzt sehen wir die Folgen davon." Der schillerndste Beleg ist Zumas Privatanwesen in seinem ärmlichem Heimatdorf Nkandla, das er sich mit etwa 18 Millionen Euro an Staatsgeld zu einem Palastkomplex hat ausbauen lassen - Aufforderungen der Opposition, das Geld zurückzuzahlen, pflegte der Präsident einfach wegzulächeln und zu -kichern, bis er im Februar dieses Jahres zu härteren Mitteln griff: Er ließ bewaffnete Polizisten in den Parlamentssaal stürmen und Abgeordnete der Opposition, die ihn mit Zwischenrufen zu Nkandla störten, gewaltsam abführen. Im Juni verhalf er dem sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir, der als mutmaßlicher Völkermörder vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird, zur Flucht aus Südafrika, obwohl ein Gericht des Landes, im Einklang mit internationalen Verträgen, dessen Verhaftung angeordnet hatte. All das sind Beispiele dafür, wie Zuma und seine Entourage die Grenzen zwischen der Regierungspartei ANC und den staatlichen Institutionen verwischen. Die Verfassung des Landes räume dem Präsidenten von vornherein zu viel Macht ein, sagen Kritiker. Als sie vor gut zwei Jahrzehnten, nach dem Ende der Apartheid geschrieben wurde, habe man halt Persönlichkeiten wie den großen Versöhner Nelson Mandela im Sinn gehabt.

Die neue "Regenbogennation", die Mandela und Tutu damals ausriefen? "Nur noch eine hohle Phrase", sagt Mpho Raholane. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 35 Prozent, der Reichtum konzentriert sich nach wie vor in den Händen weniger. "Ich werde den ANC jedenfalls nicht mehr wählen", sagt die junge Frau, "auch wenn ich weiß, dass ich mich da mit meinen Eltern überwerfe." Die Partei habe die Möglichkeit gehabt, Zuma abzusetzen - so wie sie es seinerzeit mit seinem Vorgänger Mbeki gemacht hatte. "Das war die letzte Chance für den ANC, seine Ehre zu retten. Er hat sie verstreichen lassen." Der Präsident wiegt sich unterdessen weiter demonstrativ in Sicherheit. Ein Sprecher des ANC nahm ihn am Tag der Proteste in Schutz und warf den Demonstranten vor, mit ihrem Verhalten gegen den "Geist der Versöhnung" zu handeln, in dessen Zeichen dieser Tag doch schließlich stehe. Zuma selbst rief später in einer Feiertagsrede dazu auf, die Probleme des Landes nicht ständig zu "übertreiben" - der Rest der Welt müsse sonst denken, die Südafrikaner seien ein "komisches Volk".

© SZ vom 18.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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