Der Dienstag dürfte so ein Tag gewesen sein, an dem man gerne SPD-Bürgermeister von Pegnitz in Oberfranken ist. Der Bundeswirtschaftsminister persönlich kündigt an, dass jetzt wohl doch keine Stromtrasse an der Kommune vorbeiführen soll. "Ein guter Tag für meine Stadt", sagt Uwe Raab bürgermeisterlich. Stolz und froh sei er, dass sie das geschafft hätten, dank des Protests. Damit hat Raab Erfahrung. Mit seiner Großmutter hat er seinerzeit schon gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf demonstriert. Und jetzt sollte diese Stromtrasse kommen, die Raab und viele seiner Mitbürger für überflüssig halten. 130 000 Unterschriften waren schnell beieinander.
Der Widerstand zeigt Wirkung - auch in Berlin
Wo immer Pläne für neue Stromtrassen auf dem Tisch liegen, ist der Ärger in Deutschland derzeit nicht weit. Seit der Stromnetzbetreiber Amprion jedoch ankündigte, eine 450 Kilometer lange Stromautobahn von Sachsen-Anhalt weit hinein in den Süden Bayerns bauen zu wollen, wurde der Protest aber zum Flächenbrand. "Wir alle wollen die Trasse nicht", wetterte auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Es sei für ihn eine politische Verpflichtung, gegen das "Ungetüm" zu kämpfen.
Der Widerstand zeigt Wirkung. Denn nun rückt erstmals auch die Bundesregierung von dem äußerst umstrittenen Projekt ab. "Natürlich wird der jetzige Korridor nicht kommen", sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). "Wenn der Staat versuchen würde, das mit gesetzlichen Mitteln durchzusetzen, haben wir jahrelanges Theater und Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht."
Der Trassenverlauf sorgte für Ärger
In Regierungskreisen verlautete am Dienstag, die große Koalition habe sich endgültig darauf verständigt, die Trasse nicht wie geplant zu bauen. Das Bedarfsplangesetz solle entsprechend geändert werden. Auf Widerstand war in Bayern vor allem der Verlauf der Trasse gestoßen. Die sogenannte Süd-Ost-Passage sollte ausgerechnet in Bad Lauchstädt bei Halle beginnen - in direkter Nähe zum ostdeutschen Braunkohlerevier. Klimaschädlicher Kohlestrom für Bayern? Das schaffe bei den Bürgern kein Verständnis für die Energiewende, klagte Bayerns Landesregierung.
Doch der Trassenstreit ist wohl auch mit dem gemeinsamen Veto aus München und Berlin gegen die Stromautobahn noch längst nicht beigelegt. Denn in Berlin kursieren bereits Pläne, die in München keine Anhänger finden. An der Notwendigkeit einer neuen Trasse bestehe gar kein Zweifel, heißt es etwa aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Geht es nach dem Bund, soll die Stromautobahn aus Ostdeutschland nach Bayern doch noch kommen - nur eben mit anderem Verlauf.
Gabriel deutet bereits an, wie er sich einen Kompromiss vorstellt: Die Bundesregierung wolle auch Erdverkabelungen zulassen, was eine Stromautobahn zwar teurer macht, aber den Widerstand reduziert. "Man kann nicht ein kleines Dorf mit einer 380-KV-Freileitung einkreisen", sagte Gabriel. Bei Freileitungen werde man Lösungen suchen, die für die Menschen in der betroffenen Region verträglich seien.
Eine Alternativ-Trasse könnte in Ohu bei Landshut enden
Berlin hofft also, die Gegner mit der Planung einer komplett neuen Trasse, die vor allem Windenergie aus Mecklenburg-Vorpommern transportieren würde, beschwichtigen zu können. Dazu müsste der Startpunkt der Leitung nach Norden verlegt werden. Richtung Süden müsste sie nicht mehr bis Meitingen bei Augsburg geführt werden, sondern könnte womöglich schon beim Atomkraftwerk in Ohu nahe Landshut enden. Dort wäre auch nicht mehr der in Bayern umstrittene Netzbetreiber Amprion, sondern Tennet mit Sitz in Bayreuth verantwortlich.
In Schwachwindzeiten solle Wasserkraft-Strom aus Schweden und Norwegen in die Leitung eingespeist werden, kündigt Gabriel zudem an. "Dazu sollen zwei Seekabel - eins nach Schweden und eins nach Norwegen - verlegt werden." Das Aus für die Süd-Ost-Passage und stattdessen eine neue Trasse andernorts? Was Berlin als gesichtswahrende Lösung für alle Beteiligten sieht, kommt in München schlecht an.
Seehofer gibt sich mit einem Teilerfolg im Streit um Stromtrassen noch nicht zufrieden. Dann dürften die Proteste andernorts aufflammen. Seehofer sagt der Süddeutschen Zeitung: "Kreuz und quer durch ein Land mit diesen Naturschönheiten kann man heute solche Projekte nicht mehr bauen. Das ist vorbei. Wie bei jedem Großprojekt, von Stromleitungen bis zu Startbahnen, steht immer am Anfang die Frage: Brauchen wir das zwingend?" Bis Herbst will er darauf eine Antwort haben.
Anders als seine bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), die sich längst mit einer weiteren Stromtrasse abgefunden hat, gibt Seehofer den Kampf noch nicht verloren. "Ob und wie ist bei mir offen." Auch bei der jetzt beerdigten Stromtrasse habe es immer geheißen, sie würde genau so gebraucht. Man müsse auch mal Expertenrat hinterfragen. "Ich habe eine zu lange Erfahrung darin, was alles in sich zusammengekracht ist", sagt Seehofer. Er werde sich auch zeitlich nicht unter Druck setzen lassen. "Wir reden über einen Sachverhalt, der für das nächste Jahrzehnt maßgeblich ist. Wir sind jetzt im Jahr 2014. Wir müssen nicht in Hektik verfallen."
In Bayern könnten die Strompreise steigen, warnt Gabriel
Für Gabriel ist die Sache ohnehin längst klar. Er warnt bereits vor weiterem Widerstand gegen Stromtrassen. Diese seien nach der Abschaltung der Atomkraftwerke in Süddeutschland unverzichtbar. Andernfalls drohe in Teilen Deutschlands langfristig ein Stromengpass mit unterschiedlichen Strompreiszonen. Dann werde "die Region, in der Strom ein knappes Gut ist, in der oberen Preiszone liegen, die Region, wo Strom kein knappes Gut ist, in der unteren Zone". Im Klartext: Wenn Bayern sich weiter gegen neue Leitungen wehrt, könnte das die Bürger und Unternehmen in ein paar Jahren teuer kommen. Zwei getrennte Strompreiszonen aber passen nicht in den freien EU-Strommarkt - die EU-Kommission dürfte so etwas kaum zulassen.
Eine Hintertür lässt sich auch Seehofer schon mal offen: Sollte die Leitung unverzichtbar sein, werde er dafür kämpfen. "Wenn etwas notwendig ist, bin ich der erste, der vorne wegmarschiert und um die Zustimmung der Bevölkerung wirbt." Da dürfe auch nichts "hinter dem Rücken" der Bevölkerung gemacht werden. Ob er womöglich über das neu geschaffenen Instrument einer Volksbefragung die Bürger an der Diskussion über Trassen beteiligt, ließ er offen. "Dafür ist es noch viel zu früh. Solange ich nicht über das Ob und Wie Bescheid weiß, spekuliere ich nicht über solche Verfahrensschritte."
In Pegnitz jedenfalls spekulieren sie jetzt darauf, dass die Trasse sich abwenden lässt. "Wenn unser Land bisher solche Herausforderungen zu lösen hatte, ist ihm noch immer etwas eingefallen", sagt Bürgermeister Uwe Raab. Dass diese Leitung wirklich nötig sei - das solle die Bundesnetzagentur erst mal nachweisen.