Stuttgart 21:Stresstest für den neuen Bahnhof

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Was passiert, wenn eine weitere Weiche nötig ist? Wenn die Züge eine Minute länger halten? Ein Stresstest soll klären, wie leistungsfähig der Stuttgarter Tiefbahnhof wirklich ist. Die Anforderungen an die Computersimulationen sind hoch.

Corinna Nohn

Stress heißt Anspannung, aber der Begriff ist auch verwandt mit dem lateinischen strictus, was "eng" oder "straff" bedeutet. Der Name "Stresstest" ist also treffend gewählt für ein Verfahren, das die Kapazitäten des Stuttgarter Tiefbahnhofs verbindlich ermitteln soll.

Die undatierte Computergrafik zeigt den Stuttgarter Bahnhof, wie er nach den Vorstellungen der Deutschen Bahn aussehen soll. Doch zunächst soll ein Stresstest klären, wie leistungsfähig ein solcher Tiefbahnhof wäre.  (Foto: DB-Projekt Stuttgart 21/ddp)

Schließlich werfen die Gegner des Projekts der Bahn vor, sie habe den Tunnelbahnhof zu eng und mit zu wenig Gleisen geplant, auch der Fahrplan sei zu straff angesetzt. So könne die Leistungsfähigkeit nicht wie versprochen um 30 Prozent steigen - denn dann müssten in Stoßzeiten 49 Züge pro Stunde den Bahnhof durchqueren können. Genau dieses Versprechen ist durch Heiner Geißlers Schlichterspruch zum Engpass von Stuttgart 21 geworden: Die Bahn muss es erfüllen, damit die Gegner das Großprojekt akzeptieren.

Wer sich anhört, was dieser Stresstest eigentlich sein soll, fragt sich unweigerlich, wie die Planer des Großprojekts ohne ihn auskommen wollten: Es geht um eine Computersimulation, die realistisch berechnet, wie viele Züge in welchem Zeitraum mit welchem Abstand durch den unterirdischen Bahnhof rollen können. Das Verfahren soll nicht nur helfen, Probleme zu erkennen, sondern auch, Lösungen zu finden und die Baupläne anzupassen.

Dazu wird ein Fahrplan, wie er für das Jahr 2020 realistisch sein könnte, mit dem geforderten Trassennetz verknüpft. Dann kann am Computer nachgespielt werden, welche Auswirkungen es zum Beispiel hätte, an einer Stelle eine zusätzliche Weiche einzubauen - oder auch zwei weitere Gleise im unterirdischen Tunnel, wie es die Gegner von Stuttgart 21 fordern.

Die Bahn wird diese Simulation bis Mai durchführen, dann soll das Schweizer Unternehmen SMA das Ergebnis prüfen. Die Züricher Firma gilt in Europa als führend für die Entwicklung und Optimierung von Eisenbahnfahrplänen - dank ihrer Software hat es die Schweizerische Bundesbahn geschafft, ihren Gesamtfahrplan zu optimieren und innerhalb von zehn Jahren 40 Prozent mehr Fahrgäste zu gewinnen.

Im Sommer wurde bekannt, dass SMA bereits ein Gutachten zu Stuttgart 21 erstellt und die Umsetzbarkeit in Frage gestellt hatte. Wegen dieser kritischen Analyse befürworten es die Gegner, dass SMA die Simulation begutachten wird - aber auch, weil die Firma "endlich den Nutzwert fürs Gesamtnetz" in den Mittelpunkt rücken werde, sagt etwa Boris Palmer (Grüne), Oberbürgermeister von Tübingen.

Laut Palmer werde das virtuelle Schienennetz "jede Schiene, jede Weiche und jedes Signal metergenau" einbeziehen. "Man muss wissen, mit welcher Geschwindigkeit jeder Zug an welcher Stelle fährt und wie lange die Züge realistischerweise auf dem Bahnhof halten." Bislang sei die Bahn davon ausgegangen, dass Regionalzüge eine Minute und Fernzüge zwei Minuten auf dem Bahnhof halten. "Aber jeder, der den Alltag auf deutschen Bahnhöfen kennt, weiß, wie unrealistisch das ist."

Das hat auch die Bahn mittlerweile eingeräumt. Das besondere Problem in Stuttgart ist zudem der Tunnel, durch den alle Züge fahren müssen - Verspätungen wirken sich deshalb sofort auf andere Züge aus und "schaukeln sich auf", wie Palmer sagt.

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Nach Ansicht des Tübinger Verkehrsplaners Gerd Hickmann wird die Simulation auch die eingleisigen Streckenabschnitte und die Zugführung auf dem Bahnhof selbst als Engpässe entlarven. So sei bislang vorgesehen, Gleise doppelt zu belegen, also zwei kurze Züge hintereinander auf einem Gleis halten zu lassen. "Wenn dann der vordere Zug Verspätung hat, ist automatisch der nachfolgende betroffen, Zugfolge und Fahrplan geraten durcheinander", sagt Hickmann. "Wir kennen das vom Kölner Bahnhof, der auch wegen solcher Doppelbelegungen der verspätungsanfälligste deutsche Großbahnhof ist. So etwas kann man nicht als Zukunftsprojekt verkaufen."

Aber auch die Befürworter sind der Meinung, dass der Stresstest ihre Position stärken wird. So rechnen weder Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) noch Volker Kefer, im Bahnvorstand für Infrastruktur verantwortlich, damit, dass der Bahnhof am Ende um zwei Gleise erweitert werden müsse.

© SZ vom 02.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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