Streit um EU-Nachzahlung aus Großbritannien:Desaster mit Potenzial

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Bei einer Pressekonferenz am Freitag machte Cameron deutlich, dass er nicht beabsichtige, zwei Milliarden Euro an die EU zu überweisen. (Foto: AFP)

Brüssels Ruf nach einer Milliarden-Nachzahlung bringt das Vereinte Königreich in Rage. Selbst Premier Cameron zeigt sich wütend wie nie. Dabei könnte sich die Forderung der EU für ihn sogar als innenpolitischer Glücksfall erweisen.

Kommentar von Christian Zaschke, London

Besser könnte man es nicht planen, wenn man die Briten aus der EU treiben wollte. Dass das Vereinigte Königreich bis zum 1. Dezember mehr als zwei Milliarden Euro nach Brüssel überweisen soll, während Länder wie Deutschland und Frankreich erhebliche Rückzahlungen erhalten, löst auf der Insel im gesamten politischen Spektrum Ärger und Unverständnis aus. Insbesondere Premier David Cameron zeigt sich wütend wie nie. Selbstverständlich hat die Forderung nichts damit zu tun, dass im Hintergrund Strippenzieher daran arbeiten, Großbritannien aus der EU zu vergraulen. Es ist ein normaler bürokratischer Vorgang - der jedoch im Vereinigten Königreich gewaltige Sprengkraft entfaltet.

Der europaskeptische Flügel der Konservativen Partei ist wegen der Erfolge der EU-feindlichen UK Independence Party (Ukip) ohnehin gereizt. Vertreter dieses Flügels bezeichnen die Nachforderung als "inakzeptabel und illegal". Sie als stocksauer zu beschreiben, wäre untertrieben. Schon vor der Nachforderung waren die Tories der Ansicht, die EU-Mitgliedschaft sei zu teuer. Rund elf Milliarden Euro hat das Königreich 2013 zum Brüsseler Haushalt beigetragen, die Nachforderung macht also fast ein Fünftel des ursprünglichen Betrags aus.

Technisch mag an der Forderung nichts auszusetzen sein, ihre politischen Folgen sind jedoch unabwägbar. Cameron steht unter besonderem Druck, weil im November eine Nachwahl in Rochester ansteht, bei der die Ukip hofft, ihren zweiten Parlamentssitz in Westminster zu gewinnen. Beide Ukip-Abgeordnete wären dann ehemalige Konservative. Gewänne Ukip die Nachwahl, wäre das nicht nur eine Demütigung für Cameron; vor allem würde ein Sieg ein Signal an andere wechselwillige Tories senden: Man kann sich der Ukip anschließen und sein Mandat behalten.

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Cameron bleibt keine andere Wahl

Die Tories haben daher die ganz große Wahlkampfmaschine angeworfen. Sämtliche Abgeordnete müssen den Wahlkreis besuchen. Unter vielen Konservativen herrscht das Gefühl, dass die Partei um ihre Zukunft kämpft, weil eine weitere Niederlage eine Absetzbewegung konservativer Wähler und Abgeordneter zur Ukip auslösen könnte. Das Letzte, was Cameron in dieser Phase gebrauchen kann, ist eine Milliardenforderung aus Brüssel. Er hatte in Anbetracht der innenpolitischen Lage keine andere Wahl, als die Zahlung vorerst in scharfen Worten zu verweigern.

Vor allem Ukip-Chef Nigel Farage spielt die Forderung in die Karten. Er bezeichnete die EU als blutdurstigen Vampir und David Cameron als Versager. Für den Premier könnte die Angelegenheit jedoch auch eine Chance sein. Da die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs um Camerons prekäre innenpolitische Lage wissen und in letzter Konsequenz niemand will, dass die Briten die EU verlassen, ist es denkbar, dass eine Lösung gefunden wird, die den Premier gut aussehen lässt. Wenn er in Brüssel - auf welchen verschlungenen Wegen auch immer - erreicht, dass Großbritannien nicht oder immerhin viel weniger zahlen muss, kann er sich in London als starker Mann präsentieren, der auf dem Kontinent für britische Interessen eintritt und bekommt, was er will. So könnte er der Ukip den Wind aus den Segeln nehmen.

Natürlich ist es auch vorstellbar, dass keine Lösung gefunden wird und der Premier entweder den offenen Konflikt sucht oder, was unwahrscheinlich ist, kleinlaut zahlt. Im Moment besteht jedoch zumindest die Möglichkeit, dass aus einem vermeintlichen außenpolitischen Desaster ein unverhoffter innenpolitischer Glücksfall für Cameron wird.

© SZ vom 25.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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