Glosse:Das Streiflicht

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Ein rheinischer Postbote wird bedroht, weil er so schön singt. Warum lässt man der fröhlichen Minderheit nicht endlich so viel Entfaltung wie der miesepetrigen Mehrheit?

(SZ) Viele haben es vielleicht noch nicht gemerkt, aber der singende Postbote tritt immer häufiger auf in unseren Einfahrten und Treppenhäusern. Jedenfalls erscheint er an jenen Tagen, an denen sein Arbeitgeber es nicht länger vermeiden kann, Briefe und Sendungen tatsächlich zustellen zu lassen. Der Shantys trällernde schottische Briefträger Nathan Evans wurde sogar zum Tiktok-Star. Und Vincenzo, Austräger in Rheinfelden, trägt mit einem hingebungsvoll geschmetterten "Un amore cosi graaaaaaande" Freude in die Herzen der Adressatinnen; jedenfalls darf man das hoffen. Postbote Michael F. in Düsseldorf singt gern Songs der Backstreet Boys, vor allem deren Hit "I Want It That Way". Was immer an jenem Tag der Tat vor zweieinhalb Jahren geschehen ist, als sicher muss gelten, dass die darin enthaltenen Verse "But we are two worlds apart / Can't reach to your heart" für die Begegnung mit einem örtlichen Maler in beklagenswerter Weise zutrafen. Dessen Herz erreichte der singende Austräger nicht im Mindesten. Im Gegenteil, der Mann drohte dem bedauernswerten Postboten sogar mit Mord, solle er sich jemals wieder blicken und hören lassen. Nicht ganz klar erscheint, was den Täter, der in erster Instanz zu acht Monaten Haft verurteilt worden war und am gestrigen Donnerstag vor dem Landgericht Düsseldorf stand, eigentlich angetrieben hat.

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