Glosse:Das Streiflicht

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In Deutschland wird viel geschimpft und viel übel genommen. Und obendrein fühlt sich jeder vom anderen komplett missverstanden.

(SZ) In der Ukraine tobt der Krieg, in Deutschland liebt man verbale Kampfhandlungen. So inszeniert sich Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin der FDP im Europawahlkampf als "Oma Courage", als brauche es ganz besonderen Mut, stets das Maximum an Waffen für die Ukraine zu fordern. Die Anlehnung an Bertolt Brechts "Mutter Courage" ist selbst für Wohlmeinende von schmerzhafter Peinlichkeit, zumal da Strack-Zimmermanns Spindoktoren eine Kleinigkeit außer Acht ließen. Besagte Mutter in Brechts Drama ist eine Marketenderin und profitiert vom Krieg, der zugleich ihre Kinder frisst, eines nach dem anderen. Wer sich ein Wahlkampfteam hält, das sich die Oma Courage ausgedacht hat, braucht keine Feinde mehr.

Nur noch sehr naive Menschen könnten annehmen, eine so bedrohliche Lage erfordere gemeinsame Anstrengungen der Politik und ein dafür nötiges Mindestmaß an Differenzierung. Die einen aber tun so, als stünden Putins Panzer ohne Taurus-Lieferungen für Kiew spätestens übermorgen in Fallingbostel. Die anderen gebärden sich, als seien sie Engel des Friedens, wenn sie solche Lieferungen rundheraus ablehnen. Und nichts ist schlimmer als die Meinung der jeweils anderen.

"Nicht weinen, nicht zürnen, sondern: begreifen!" So riet es der weise Philosoph Baruch Spinoza. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil ließ nun wissen: Wer die jüngsten Worte des Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich im Parlament so auslege, dass dieser von der Unterstützung der Ukraine abweiche, "der hat die Rede entweder nicht verstanden, oder er wollte sie falsch verstehen". Man tut Rolf Mützenich wohl kein Unrecht mit der Bemerkung, dass er mit dem Militärischen ein wenig fremdelt; jedenfalls hatte er gesagt, man dürfe nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern müsse auch "darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann". Und nein, hier sprach nicht, wie manche gleich behaupteten, der deutsche Putinverstehersozi, der nur zu leicht bereit ist, bedrohte osteuropäische Nationen zu opfern, wenn es nur der eigenen Gesinnung frommt. Aber so wenig man Rolf Mützenich hier widersprechen mag, dass der Krieg enden möge, so sicher ist freilich auch, dass sich seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine vor zwei Jahren sehr viele Menschen sehr viele Gedanken genau darüber machen, wie man diesen Krieg beenden könnte. Doch leider ist der Einzige, der darüber nicht nachdenken will, derjenige im Kreml, der dieses ersehnte Ende mit einem Wort herbeiführen könnte. Es könnte also doch so sein, dass man Rolf Mützenich nicht richtig versteht. Es gibt Dinge und Worte, die man gar nicht verstehen kann, auch wenn man es noch so gerne möchte.

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