Glosse:Das Streiflicht

Lesezeit: 2 min

Die neuen Gesetze des Fußballs: Die Wahrheit liegt überall, nur nicht auf dem Platz, und ein Spiel dauert 103 Minuten.

Borussia Mönchengladbach war einst, kurz nach dem Aussterben des Brachiosaurus, ein ruhmreicher Verein, der viele Titel gewann. Heute stolpert die Truppe dem Absturz entgegen, und das kam so: Die Kicker vom Niederrhein gehen regelmäßig nach 20 oder 30 Minuten in Führung und glauben, damit sei die Arbeit getan, die sie dann auch konsequent einstellen. Irgendwann haben die Gegner das natürlich mitbekommen und schießen seither im weiteren Spielverlauf unverdrossen ins Tor der Borussia, die ihnen ratlos zusieht und somit dabei ist, einen Weltrekord an verspielten Punkten aufzustellen. Aber wie ist so etwas möglich, wenn ein ehernes Gesetz des Fußballs doch lautet: Ein Spiel dauert 90 Minuten?

Hieße es: Ein Spiel dauert 24 Minuten, würde Mönchengladbach in die Champions League einziehen. Dort freilich, wie der noch ein Quäntchen ruhmreichere FC Bayern nun feststellen musste, dauert ein Spiel 103 Minuten, und auch ein zweites Gesetz, demzufolge die Wahrheit auf dem Platz liege, gilt nichts mehr. Auf dem Platz schossen die Münchner in der 103. Minute ein astreines Ausgleichstor, das der Schiedsrichter aber aberkannte, weil er einer alternativen Wahrheit den Vorzug gab. Somit war auch endgültig das dritte große Gesetz außer Kraft gesetzt, das lautete: Fußball ist ein Spiel, bei dem 22 Männer dem Ball nachjagen und am Ende gewinnen die Bayern (bei den Frauen herrscht übrigens noch die herkömmliche Rechtslage). Ungültig ist heute natürlich auch Paragraf 3 Absatz 2: Vizekusen hat kein Anrecht auf Platz eins.

Aber zurück nach Mönchengladbach. Viele, vor allem weibliche Fans halten es für eine unverrückbare Wahrheit, dass Florian Neuhaus der schönste Mann auf dem Platz, ja der gesamten Bundesliga ist. Im sportlichen Ranking steht er nicht ganz so hoch, ist aber dennoch ein sehr guter Fußballer, was sich zuletzt in Bremen zeigte. Dort ging das Spiel nach der üblichen 1:0-Führung seiner Borussia zu deren Überraschung weiter, und die Bremer hatten gemeinerweise zwei Tore geschossen, bis Neuhaus eingewechselt wurde. Als es in der Nachspielzeit Elfmeter für die Seinen gab, schnappte er sich den Ball von den verzagten Mitspielern, die sein Trainer als Schützen vorgesehen hatte, und hämmerte ihn zum Ausgleich ins Netz. Dieses Tor dürfte seinen Verein vor dem Abstieg bewahren. Neuhaus soll aber jetzt wohl gefeuert werden, weil er sich den Anweisungen eines Misserfolgstrainers widersetzte, dessen Job er wahrscheinlich gerettet hat und der seinen Spielern nicht beizubringen vermag, wie lange ein Match dauert. So sieht Fußball aus, wenn Gesetzlosigkeit herrscht. Vielleicht wäre Florian Neuhaus in München besser aufgehoben. Aber Vorsicht. Gerade befindet sich ein neues Gesetz in Vorbereitung, das lautet: Fußball ist et cetera ..., und am Ende verliert immer der FC Bayern.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: